Liebesdienste / Roman
schwul wäre, als Partner nicht infrage käme, nicht einmal für eine Nacht.
»Ich bleibe nicht«, sagte Martin zum Nachtportier, »nicht wirklich. Ich
schlafe
nicht.«
»Ist mir piepegal, was Sie tun«, sagte der Nachtportier langmütig und blickte flüchtig auf Paul Bradleys verbundenen Kopf. »Aber Sie müssen für ein Doppelzimmer zahlen, wenn Sie zu zweit sind.«
»Kein Problem«, erklärte Paul Bradley freundlich, zog ein paar weitere Zwanziger aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Tisch.
Martin versuchte, erneut die Reisetasche zu nehmen, doch Paul Bradley sagte: »Nicht nötig, Martin, Sie sind nicht mein Kammerdiener«, schwang sich die schwere Tasche über die Schulter, als würde sie nichts wiegen, und begann die Treppe hinaufzugehen.
Martin folgte ihm über den Teppich im Stewart-Muster. Er mied den traurigen Blick des großen, mottenzerfressenen Hirsches, dessen Kopf oberhalb der Treppe hing. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn er plötzlich den Mund aufgemacht und zu ihm gesprochen hätte. Martin fragte sich, warum man Hirschköpfe aufhängte, aber keine Pferde- oder Hundeköpfe.
Im Zimmer stand ein Doppelbett, obschon es nominell ein Einzelzimmer war. Paul Bradley warf seine Tasche auf die braunorange karierte Tagesdecke und sagte leichthin: »Ich nehme die linke Seite, Sie die rechte«, und Martin dachte, dass er gewohnt schien, überall zu schlafen, auch mit Männern, auf eine nicht-sexuelle Weise. In seiner Jugend hatte er eine Menge Paul Bradleys gekannt. Militär.
»Waren Sie beim Militär?« Es war die erste persönliche Frage, die er ihm stellte. Paul Bradley blickte ihn komisch an, ein bisschen länger, als es die meisten Menschen getan hätten, und Martin sagte: »Entschuldigen Sie, ich wollte nicht neugierig sein.«
Paul Bradley zuckte die Achseln: »Ist schon in Ordnung, ich habe nichts zu verbergen. Ich war bei der Marine. Bei einer Spezialeinheit. Wir machen da nicht so viel Wind drum wie die Luftwaffe. Jetzt bin ich ein Bürohengst und schiebe Papiere herum. Sehr langweilig. Waren Sie bei der Armee?«
»Nicht wirklich«, sagte Martin. »Mein Vater war Hauptfeldwebel, wir sind in einem heimeligen Rekruten-Trainingslager aufgewachsen.«
»Wir?«
»Mein Bruder Christopher und ich.«
»Stehen Sie sich nahe?«
»Nein, nicht wirklich.« Martin durchschaute, was Paul Bradley tat: Er drehte den Spieß um, stellte Fragen, um selbst keine beantworten zu müssen. »Ich setze mich auf den Stuhl«, sagte er. »Ich soll auf Sie aufpassen, nicht schlafen.«
»Wie Sie wollen.« Paul Bradley ging mit seiner Reisetasche in das winzige Bad und schloss die Tür.
Martin versuchte, die Geräusche des anderen zu überhören, der sich wusch, die Zähne putzte, pinkelte. Um sie zu übertönen, schaltete er den Fernseher ein, aber auf allen Kanälen grieselte es. Er blätterte müßig in der einzigen Lektüre, die sich im Zimmer befand, einer Werbebroschüre über schottische Touristenattraktionen, ein Mischmasch aus Whiskybrennereien, Textilfabriken und historischen Routen.
»Das Bad ist frei«, sagte Paul Bradley, als er herauskam, nach billiger Seife und Zahnpasta riechend. Martin fühlte sich wie die schüchterne jungfräuliche Braut in den Flitterwochen, deren Bräutigam ihre züchtige Zurückhaltung nicht bemerkt.
Paul Bradley öffnete die Minibar und sagte: »Trinken Sie was.«
»Vielleicht ein Mineralwasser«, erwiderte Martin, aber ein Blick in die Minibar belehrte ihn, dass Wasser zu viel verlangt war. Der Inhalt umfasste die Grundausstattung, kein Wasser oder andere Getränke zum Mixen, keine Toblerone, keine ungenießbaren japanischen Cracker oder Pikkolos, nicht einmal gesalzene Erdnüsse – nur Dosenbier, kleine Schnapsfläschchen und Irn-Bru. Der Anblick der Schnapsfläschchen löste in ihm ein plötzliches Bedürfnis nach Alkohol aus, mit dem er die Aufregung des Tages hinunterspülen könnte.
»Ich mixe Ihnen was.« Paul Bradley nahm ein Fläschchen Whisky und eine Dose Irn-Bru. »Moment, ich hole ein Glas aus dem Bad.«
Martin blickte entsetzt auf die orangefarbene Flüssigkeit in dem Glas, mit dem Paul Bradley zurückkehrte, fühlte sich jedoch verpflichtet, Danke zu sagen und danach zu greifen. Er war überzeugt, dass die Zellen seiner Leber lieber Selbstmord begingen, als diesen widerlichen Cocktail zu verarbeiten, bestehend aus Schottlands zwei Nationalgetränken. Die Kupfertöne der Einrichtung, das fluoreszierende Orange des Irn-Bru und das
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