Liebesdienste / Roman
Das war es also, er hatte in die Tasche geschaut, und es war nichts darin, was ihm etwas über Paul Bradley sagte, nur eine schwarze Plastikschachtel, ein Geheimnis in einem Geheimnis. Vielleicht war in der Schachtel eine weitere Schachtel, und in der Schachtel noch eine Schachtel und so weiter wie bei den russischen Puppen. Wie seine eigene russische Puppe, das Vorspiel zu seinem kurzen Werben um das Mädchen vom Matroschka-Stand und zu dem Vollzug des Aktes mit ihr. War das keine Lektion? Die Lektion, nicht irgendwohin zu gehen, wohin man nicht gehen sollte?
Jemand betrat die Kapelle, und Martin packte die Tasche, als könnte sie seine Schuld herausschreien. Er dachte, es wäre ein Patient oder der Verwandte eines Patienten, aber es war ein Geistlicher, der ihn aufmunternd lächelnd ansah. »Alles in Ordnung?« Martin bejahte, alles in Ordnung, und der Geistliche nickte und sagte: »Gut, gut, es ist immer eine schwierige Zeit, wenn ein geliebter Mensch im Krankenhaus ist«, und schlenderte wieder hinaus.
Paul Bradley konnte Vertreter sein, ein Handelsvertreter, und die schwarze Schachtel mochte Muster enthalten. Muster wovon? Oder Schmuck? Ein Geschenk. Etwas, was er überbringen wollte. Wäre es wirklich schlimm, wenn er nachsehen würde? Könnte er jetzt
nicht
mehr nachsehen? Erst als er die Schließen geöffnet hatte und den Deckel anheben wollte, fragte er sich, ob es eine Bombe war.
»Da sind Sie ja, Martin!« Er klappte die schwarze Schachtel augenblicklich zu. Sein Herz war mehrere Etagen nach oben geschossen und dann auf den Grund des Schachts gestürzt. »Wir haben Sie schon überall gesucht«, sagte Sarah, die Krankenschwester mit dem hübschen Lächeln. Sie stand in der Tür zur Kapelle und grinste ihn an. »Ihr Freund wurde entlassen, er kann jetzt gehen.«
»Gut, ich komme«, sagte Martin etwas zu laut, grinste sie dämlich an, während er verstohlen den Reißverschluss zuzog. Er stand auf, und Sarah fragte: »Alles in Ordnung, Martin?« Sie berührte ihn am Ellbogen, blickte besorgt drein, aber morgen, das wusste er, hätte sie seinen Namen vergessen.
»Hallo, Martin«, sagte Paul Bradley. Er wartete im Flur, den Kopf verbunden, aber ansonsten unverändert. Er nahm Martin die Tasche ab mit den Worten: »Danke, dass Sie darauf aufgepasst haben.« Martin war überzeugt, er würde beim ersten Blick auf die Tasche sehen, dass Martin darin gekramt hatte.
»Haben Sie da drin gebetet, Martin?«, fragte Paul Bradley und machte eine Kopfbewegung in Richtung Kapelle.
»Nicht wirklich«, sagte Martin.
»Sie sind also nicht gläubig?«
»Nein. Überhaupt nicht.« Es klang seltsam, wie Paul Bradley »Martin« sagte, als wären sie Freunde.
Ein einsames Taxi stand vor dem Krankenhaus. Martin fiel plötzlich der silberfarbene Peugeot ein, und er fragte sich, was aus ihm geworden war. Die Polizei hatte sich vermutlich des Wagens angenommen, aber Paul Bradley kümmerte es nicht. »Er war gemietet«, sagte er. Martins Wagen parkte noch da, wo ihn Richard Moat abgestellt hatte, im Parkhaus des St. James Centre. Zu spät, ihn jetzt noch zu holen, er mochte sich gar nicht vorstellen, wie viel es ihn morgen kosten würde, ihn auszulösen.
Martin hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, wohin sie fahren würden, bis sie einstiegen und der Taxifahrer »Wohin?« fragte. Paul Bradley sagte: »Das Four Clans Hotel.« Martin protestierte, bot sein eigenes Haus an (als hätte er die Lektion, die ihm Richard Moat erteilt hatte, nicht gelernt), aber Paul Bradley lachte nur und sagte, dass er sich mit »der Überwachung« durch Martin nur einverstanden erklärt hätte, um aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, aber jetzt sei Martin »seiner Pflicht entbunden«. Er fragte Martin nach seiner Adresse und sagte zum Taxifahrer: »Haben Sie gehört?«, zog einen Zwanzig-Pfund-Schein aus dem Bündel in seiner Brieftasche und reichte sie durch das Trennfenster. »Fahren Sie ihn nach Hause, nachdem Sie mich abgesetzt haben, okay, Kumpel?« Man musste seine Kaltblütigkeit bewundern, dachte Martin, er hätte heute sterben können, und doch saß er hier, als wäre nichts geschehen, nur der professionelle Kopfverband deutete darauf hin, dass der Tag nicht so verlaufen war wie geplant. Martin hatte Paul Bradley die Brieftasche mit einem seltsamen Widerstreben zurückgegeben, das er sich selbst nicht erklären konnte.
Das Taxi hielt vor einem kleinen Touristenhotel im West End. Ein beleuchtetes rotes Schild mit der Aufschrift
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