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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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untypisch frivoles Schuhwerk aus goldenem oder silbernem Leder. Obwohl Martin über zehn Jahre nach Kriegsende geboren war, waren Christopher und er mit den Geschichten über die Heldentaten seines Vaters aufgewachsen – Fallschirmsprünge hinter Feindeslinien, Mann-gegen-Mann-Kämpfe, waghalsige Fluchten –, als wäre jemand aus ihren Comicheften zum Leben erwacht. Entsprachen Harrys Geschichten der Wahrheit? Von heute aus betrachtet, schien es weniger wahrscheinlich. Das Leben nach dem Krieg war notwendigerweise eine Enttäuschung für Martins Vater. Martin wusste seit seiner Jugend, dass jede Chance, selbst ein Held im Leben zu werden, bereits von seinem Vater verbraucht worden war.
    Martin konnte mit einer Pistole umgehen, die Lässigkeit seines Vaters im Umgang mit Waffen hatte dafür gereicht, dass er seinen Söhnen das Schießen beibrachte. Christopher war ein miserabler Schütze, aber Martin war zum fortwährenden Erstaunen seines Vaters nicht allzu schlecht. Er mochte nicht in der Lage sein, einen Kricketball zu schlagen, aber er konnte etwas ins Visier nehmen und ins Schwarze treffen. Er hatte nie auf etwas Lebendiges geschossen (sehr zum Unmut seines Vaters), sondern sich auf unbelebte Ziele beschränkt.
    Harry war gern mit ihnen in den Wald gegangen, um mit Schrotflinten Kaninchen zu schießen. Martin sah in einer unangenehmen Rückblende das Bild vor sich, wie sein Vater einem Kaninchen so mühelos das Fell abzog, als würde er eine Banane schälen. Von der Erinnerung an das schimmernde bonbonrosa Fleisch unter dem Fell wurde Martin jetzt noch übel.
    Als Martin und Christopher einmal aus der Schule nach Hause gekommen waren, hielt ihr Vater ihrer Mutter eine Pistole – die Welrod – an den Kopf. »Was meint ihr, Jungs«, sagte Harry und drückte den Lauf noch ein bisschen fester an die Schläfe seiner Frau. »Soll ich sie erschießen?« Natürlich war er betrunken. Martin wusste nicht mehr, was er gesagt oder getan hatte, er war damals erst acht gewesen, den Rest des »Zwischenfalls« schien er verdrängt zu haben. Er hoffte, dass er sich für seine Mutter eingesetzt hatte, obwohl Gott wusste, dass sie sich so gut wie nie für ihn verwendet hatte. Martin hatte immer damit gerechnet, dass sich sein Vater schließlich eine Kugel in den Kopf jagen würde, und war von seinem zahmen Abgang überrascht gewesen.
    Heutzutage konnte er keine Waffe mehr ansehen und sie für etwas Gutes halten. Er berührte sie, bemerkte das leichte Zittern seiner Hand, strich über die metallische Glätte, erwartete Kälte, aber sie war fast so warm wie seine Hand. Die Welrod, geliebt von Spezialeinheiten auf der ganzen Welt, während des Kriegs in England entwickelt. Die einzige einschüssige 9-Millimeter-Pistole mit integriertem Schalldämpfer. Keine große Reichweite, am besten geeignet für Schüsse aus der Nähe. Es gab nur eins, wofür man eine Welrod benutzen würde, und zwar um eine einzelne Person aus nächster Nähe so leise wie möglich zu erschießen. Mit anderen Worten: Es war die Waffe eines Meuchelmörders.
    Martin holte tief Luft. Er würde jetzt lautlos das Bad, das Hotelzimmer verlassen. Er würde auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschleichen, an der Rezeption vorbei, aus dem Haus, dann würde er in das erste Taxi springen, das er fand, und sich zum nächsten Polizeirevier fahren lassen.
    Er öffnete die Badezimmertür. Paul Bradley schlief tief und fest, schnarchte leise, die Arme unschuldig ausgebreitet wie ein Kind. Martin begann auf die Zimmertür zuzugehen, aber er bekam weiche Knie. Als er hinunterblickte, verschwamm der Teppich vor seinen Augen. Ihm schwindelte. Er war plötzlich ungewöhnlich müde, nie zuvor war er so müde gewesen, er hatte nicht gewusst, dass man überhaupt so müde sein konnte. Er musste sich hinlegen und einen kurzen Moment schlafen, auf der Stelle, auf diesem hässlichen karierten Teppich.

14
    G loria schloss alle Türen und Fenster ab, schaltete die Alarmanlage ein und ging dann in den Keller, um die Überwachungskameras zu kontrollieren.
    Im Garten vor dem Haus war alles ruhig, abgesehen von einer Füchsin, die forsch über den Rasen trottete. An den meisten Abenden stellte Gloria den Füchsen etwas zu fressen hin. Angefangen hatte sie mit Essensresten, aber jetzt kaufte sie oft etwas für sie, Pakete mit Schweinswürsten, kleine Stücke Schmorfleisch. Für den Igel (es mochte mehr als einer sein, wer wusste das schon?) gab es Katzenfutter, Brot und Milch. Das fraßen

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