Liebeserwachen in Virgin River
Lebenserfahrung. Colin fand, dass Brüder aller Altersstufen einander gleichgestellt sein müssten, sobald sie die Dreißig überschritten hatten.
Als er vor dem Haus seines Bruders parkte, kam Luke ihm auf der Veranda entgegen. „Gut, dass du ein bisschen früher hier bist. Ich muss mit dir reden. Lass mich dir nur schnell eine Cola holen.“
„Nicht nötig. Was hast du auf dem Herzen?“
Luke atmete tief ein. „Jack hat erwähnt, dass du bei ihm ein Bier getrunken hast. Ich habe ihn gefragt, ob er sicher sei, dass es wirklich Bier war, und er hat gesagt, ja.“
Colin stemmte die Hände in die Hüften. „Lass mich raten. Du hast ihm verboten, mir noch mal ein Bier zu verkaufen?“
Luke schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich verlasse mich darauf, dass du selbst beschließt, keins mehr zu bestellen.“
„Warum hältst du dich nicht einfach da raus, Luke? Ich kann selbst gut auf mich aufpassen.“
Wieder schüttelte Luke den Kopf. „Colin, das kannst du nicht tun. Und das weißt du. Alkohol ist eine Droge!“
Colin knirschte mit den Zähnen. „Ich bin nicht hier, damit du mir Vorschriften machen kannst. Du kannst mir glauben, ich habe in der Therapie mehr gelernt, als du dir je vorstellen kannst. Lass mich gefälligst meine eigenen Entscheidungen treffen. Ich werde klarkommen.“
„Hör zu“, fuhr Luke deutlich um Geduld bemüht fort. „Du hast noch mit vielem zu kämpfen. Deshalb versuche ich bloß, ein Auge drauf zu haben, um zu helfen und …“
„Das ist genau das, was ich nicht will, kapierst du das nicht? Ich möchte nicht, dass du ein Auge auf alles Mögliche hast!“
„Bier ist keine Lösung!“ Fast hätte Luke geschrien.
„Glaube mir, drei Bier in sechs Monaten bedeuten nicht, dass ich meine Probleme damit auslöschen will! Halt dich zurück, ehe ich richtig sauer werde!“, brüllte Colin ihn an.
„Ich weiß, du hattest dich ein paar Herausforderungen zu stellen, aber …“
„Ein paar Herausforderungen ?“, fragte Colin hitzig. „Ich habe mein Leben verloren! Meinen Beruf verloren, das Einzige, wofür ich wirklich gelebt habe – das Fliegen! Ich habe meinen Körper verloren und eine Zeit lang auch meinen Verstand! Das, was jetzt noch davon übrig ist; da musst du, verdammt noch mal, nicht obendrein auch noch nerven!“
„Richtig, und ich möchte nur verhindern, dass du das alles noch einmal verlierst! Mann, du hast doch deine Malerei! Du kommst zurecht!“
„Das nennst du zurechtkommen? Denkst du etwa, es ist das, was ich mir wünsche?“
„Colin, das wird alles wieder besser werden, du musst nur …“
„Ich muss probieren, mein innere Balance zu behalten“, schrie Colin. „Und du musst mich in Ruhe lassen!“
Damit drehte er sich um, sprang schon fast die Verandatreppe hinunter, stieg in seinen Wagen und sah zu, dass er so schnell von hier verschwand, bevor er sich noch mehr aufregte und wirklich ausrastete. Luke hatte ihm schon immer zugesetzt. Oder er umgekehrt Luke; da war er nicht ganz sicher. Aber am liebsten hätte er ihm jetzt einen Kinnhaken verpasst, und das war an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Luke hätte sich gewehrt, und selbst wenn Colin inzwischen wieder ganz gut in Form war, sein Körper war einem Kampf nicht gewachsen. Vor fünf Jahren hätte er Luke auf die Matte geworfen, doch jetzt? Der Heilungsprozess war noch nicht ganz abgeschlossen; er fühlte sich zerbrechlich und nicht ganz im Gleichgewicht. Am Ende würde er sich wahrscheinlich nur ein paar neue Brüche zuziehen.
Er raste nach Hause. Und jetzt sehnte er sich nach einem Bier!
Der Appetit war ihm vergangen. Er schaltete die hellen Lampen ein und nahm sich das vier mal vier Zoll große Bild von dem Hirsch vor. Oben am Rahmen befestigte er zwei Fotos, eins von dem Tier, das ihm am Fluss vor die Kamera gelaufen war, und ein zweites, das einen schöneren Hintergrund zeigte. Normalerweise gelang es ihm immer, sich in das Gemälde zu vertiefen, diesmal allerdings nicht. Und als er ungefähr eine halbe Stunde später den Motor eines Fahrzeugs hörte, schäumte er gleich wieder vor Wut. Das war so typisch für Luke – ihm im Streit hinterherzufahren!
Aber es war nicht Luke.
„Wir sollten uns mal unterhalten“, hörte er Shelby hinter seinem Rücken. Sie war einfach herangekommen.
Er drehte sich um, Palette und Pinsel in den Händen. „Ich dachte, es wäre Luke.“
Shelby schloss die Tür hinter sich und schritt weiter in die hell beleuchtete Hütte hinein. „Kleiner Rat
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