Liebeserwachen in Virgin River

ich nicht damit zufrieden bin, was Afrika zu bieten hat, werde ich mich mal in Neuseeland, Alaska und Südamerika umschauen. Ich könnte mich sogar mit der Idee anfreunden, bei einem Söldnereinsatz mitzufliegen, als Zivilist in einem Kriegsgebiet. Alles, was mich interessiert, ist, dass ich mein Leben zurückgewinne. Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass mir etwas gestohlen wurde. Eines Tages werde ich bereit sein, einen Gang zurückschalten, doch Schatz, das wird noch lange dauern. Momentan bin ich auf keinen Fall für das Lebensmotto ‚immer locker und langsam‘ zu haben.“
    Sie lächelte zögernd. „Hast du Angst, ich könnte dich bitten, nicht zu gehen?“
    „Ein bisschen, vielleicht“, antwortete er und schüttelte den Kopf. „Doch vor allem habe ich Angst davor, dass ich dich verletzen könnte.“
    „Weil du mir Nacht für Nacht alles von dir gibst und das ziemlich bald enden wird?“
    „So ungefähr.“
    „Aber, Colin, die Sache mit dem Rausch verstehe ich gut!“
    Er lehnte sich ein wenig zurück und hätte fast gestottert. „Ich will dir nicht zu nahe treten, Jilly, aber ich denke schon, dass das, wovon ich rede, ein wenig dramatischer ist, als einen Samen in die Erde zu stecken oder eine Tomate zu pflücken.“
    Sie lachte. „Du weißt doch, dass ich nicht nur eine kleine Gärtnerin bin, Colin. Ich war am Aufbau eines der bedeutendsten Softwareunternehmen beteiligt. Damals habe ich achtzig Stunden in der Woche gearbeitet und diese Firma bis zu einem der größten Börsengänge der Branche geführt. Ich bin zwar nicht von wirklichen Klippen gesprungen, im übertragenen Sinne allerdings war es das schon, wenn man alles auf den Erfolg eines erstmaligen öffentlichen Anbietens von Aktien setzt. Der Druck war heftig, das fiduziarische Risiko enorm, das Potenzial für einen Misserfolg extrem hoch, und die Aussichten auf Erfolg waren kaum noch vorstellbar. Und ich war begeistert ! Ich habe es geliebt! Bei jedem Erfolg hatte ich das Gefühl, olympisches Gold gewonnen zu haben.“ Sie lachte. „Und wenn nicht, versagt zu haben. Um dafür zu sorgen, dass die Firma stark und rentabel blieb, habe ich jeden Tag investiert, jedes Wochenende, sämtlichen Urlaub. Ruf Harry Benedict heute an und frage ihn, welchen drei Führungskräften er zugestehen würde, ihm dabei geholfen zu haben, die BSS zu einem allgemein bekannten Begriff zu machen – und darüber hinaus zu einem millionenschweren Unternehmen. Er wird meinen Namen nennen. Das garantiere ich dir. Als mir das genommen wurde, bin ich fast zusammengebrochen. Es war ungeheuer schwer für mich, ohne das Risiko, ohne den täglichen Druck zu leben.“
    Einen Moment lang wirkte er geradezu bestürzt. „Doch du konntest das hinter dir lassen, um kleine Samen in den Boden zu pflanzen und …“
    Sie schüttelte den Kopf. „Ich wurde vertrieben. Das passiert Erwachsenen, wenn sie mit den Haien schwimmen. Und es hat mich fast umgebracht. Mir wurde gekündigt, auch wenn mein alter Boss Harry es als vorübergehende Freistellung ansieht. Er hat mir geraten, ich solle eine Pause machen, nachdenken und lernen zu entspannen. Eventuell ergibt sich irgendwann die Gelegenheit, dass ich wieder zu BSS zurückkehren kann. Das ist irgendwie noch in der Schwebe. Aber fürs Erste arbeite ich im Garten und fühle und denke jeden Tag mehr wie ein richtiger Mensch. Aber glaube bloß nicht, Colin, dass ich meinen Hunger verloren habe. Diesen unbändigen Hunger spüre ich noch immer jeden Tag in mir … der Hunger nach diesem Rausch. Ich werde nicht versuchen, dich zu ändern, Colin. Ich verstehe dich … und ich weiß, was es heißt, wenn einem das Leben gestohlen wird, das perfekt zu sein schien.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Du gehst auf deine Weise damit um, indem du das große Abenteuer suchst. Ich werde es auf meine Weise machen. Ich will nicht, dass du das Gefühl hast, etwas in deinem Leben verpasst zu haben. So jemand bin ich nicht.“
    Er wirkte leicht verblüfft. „Okay, damit wärst du die erste Frau in der Weltgeschichte, die nicht sauer ist, weil ihr Mann einem Abenteuer nachjagt.“
    „Du bist arrogant“, rief sie lachend. „Du gehst davon aus, dass du der Einzige mit Bedürfnissen, mit Träumen bist. Mir gefällt, was ich tue, und selbst wenn du mich einladen würdest, ich hätte keine Lust nach Afrika, Alaska oder Neuseeland zu reisen. Allerdings sollten wir einen Kompromiss schließen.“
    „Was?“
    „Bevor du aufbrichst, solltest du