Liebesfluch
ist es für Mia das Beste, an der frischen Luft zu schlafen. Und dir würde es auch nicht schaden, dich zu bewegen, nachdem du diesen Bäckereikram gegessen hast. Bitte gib den Babys nichts davon, Zucker und Weißbrot sind dermaßen schädlich!«
Mir verschlägt es die Sprache – was fällt Anja eigentlich ein, mich wie ein unfähiges kleines Kind zu behandeln? Und der Kommentar über meine Figur war ja wohl völlig daneben. Doch noch bevor ich etwas sagen kann, redet sie schon weiter. »Ich möchte dich bitten, mit Mia nicht ins Dorf, sondern durch den Wald zu gehen. Ihr könntet zum Marienbrunnen laufen. Der Weg dorthin ist gut ausgeschildert und bequem mit dem Kinderwagen zu gehen. Du musst nur dem roten M folgen.«
Trotz ihrer bescheuerten Anweisungen versuche ich, höflich zu bleiben. »Soll ich erst noch abräumen?«, frage ich freundlich, obwohl ich ihr am liebsten mal ordentlich meine Meinung sagen würde. Gott, ich muss das unbedingt Vicky erzählen! Ob ihre Gasteltern auch so schwierig sind?
Anja schüttelt ihre rotblonden Haare. »Lass nur. Mit der Zeit, wenn du weißt, wo alles hingehört, gerne. Aber jetzt ist es wichtiger für Mia zu schlafen. Warte …« Sie läuft ins Haus und ist ein paar Sekunden später wieder zurück. »Hier ist dein Schlüssel, bitte verlier ihn nicht. Stefan hat eine teure Schließanlage installieren lassen, weil es hier in letzter Zeit so viele Einbrüche gegeben hat.«
Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt. Und ich habe die Tür zu meinem Zimmer aufstehen lassen – nicht nur in der ersten Nacht, sondern auch gestern, als wir nach Weitersheim gelaufen sind! Gut, dass sie mich nicht gefragt hat, wie ich den Ausflug ins Dorf eigentlich bewerkstelligt habe.
Ich nehme den Schlüssel, der an einem Minnie-Mouse-Anhänger aus buntem Plastik hängt, stecke ihn ein und lege Mia in den Kinderwagen – nicht ohne mich vorher nach ihrem Mützchen erkundigt zu haben. Wenn Anja glaubt, mich mit ihrem Verhalten vertreiben zu können, dann hat sie sich getäuscht. Ich wollte unbedingt in den Odenwald und nun, da ich tatsächlich hier bin, werde ich mich auf keinen Fall gleich wieder davonjagen lassen. Wahrscheinlich brauche ich einfach nur ein dickeres Fell, damit Anjas fiese Kommentare an mir abprallen.
Nachdem ich Mia die Mütze angezogen habe, was sie sich nur unter empörtem Protestgebrüll gefallen lässt, winkt mir Anja zu. »Na, dann macht’s mal gut.«
Sie wirft Mia noch ein Küsschen zu, ich ringe mir ein Lächeln ab und spaziere dann davon. Aber schon nach ein paar Metern in der sengenden Sonne wird mir klar, dass ich sowohl meine Sonnenbrille als auch meine Baseballkappe brauche – eins der wenigen Geschenke von meinem Vater.
Ich drehe also kurz entschlossen um und sperre die Haustür wieder auf. Anja steht auf halber Treppe, zuckt zusammen, wendet sich mir zu und schaut mich irritiert an. »Was ist denn noch?«
»Hab meine Sonnenbrille vergessen«, murmle ich, hole meine Sachen und dann vorsichtshalber noch ein Fläschchen mit kaltem Tee, falls Mia aufwacht und Durst bekommt. Schließlich habe ich keine Ahnung, wie weit es zu diesem Brunnen ist.
Als ich in Richtung Wald laufe, wundere ich mich doch ziemlich über Anja. Da muss ich den Kindern Mützchen aufziehen, auch wenn es superheiß draußen ist, damit sie nur ja nicht krank werden, und dann schickt sie mich in den Wald, wo Gott weiß was passieren kann! Allein, mit einem Kind. In Amerika käme niemand auf so eine Idee, das wäre viel zu gefährlich.
Ich schaue zum Wald hinüber. Er sieht trotz der Sonne immer noch sehr dunkel aus, aber nicht gefährlich, sondern seltsam unecht, wie gemalt.
8.
Du weißt, dass ich nicht einmal einen Strafzettel wegen Falschparkens bekommen habe. Vielleicht hast du gedacht, das wäre so, weil ich entsetzlich spießig bin, aber dafür gab es ganz andere Gründe.
Nach wenigen Schritten umschließt uns der Wald. Hier ist es angenehm kühl. Ich atme den leicht staubigen Geruch nach vertrockneten Blättern und Pilzen ein, es riecht ein bisschen wie ein Lagerfeuer, über das man Wasser gekippt hat.
Der Weg ist wirklich breit und sehr bequem, man läuft über ein Bett aus alten zusammengetretenen Blättern, unter dem sich Steine befinden. Zwischen den dunkelgrünen Bäumen fallen die Sonnenstrahlen herein wie Vorhänge aus Licht.
Es kommt mir so vor, als wäre das Vogelgezwitscher hier viel gedämpfter als im Garten der Zeltners. Ja, alles wirkt gedämpft.
Über den
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