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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Waldboden kriechen Brombeerranken hin. Es ist unglaublich grün, so etwas habe ich in Vegas nur in Gewächshäusern gesehen. Es gibt viele große Sträucher, aber nur die, an denen noch tellergroße weiße Blüten hängen, kenne ich. Das muss Holunder sein. Von Holunder hat Grannie manchmal erzählt, wenn sie ein bisschen traurig war. Von einem Blütensirup, den ihre Tante früher immer für sie gemacht hat und von Blüten, die in Teig ausgebacken und mit Zimt und Zucker gegessen werden. Sie ist bei ihrer Großtante in Weitersheim aufgewachsen, weil Grannies Eltern in den letzten Kriegstagen in Darmstadt bei einem Bombenangriff getötet wurden, kurz nachdem sie Grannie aufs Land in Sicherheit gebracht hatten.
    Ja, Grandma ist der Grund, warum ich hier an diesem merkwürdigen Ort bin. Weil ich unbedingt mehr über ihre unglückliche Liebesgeschichte erfahren wollte. Darauf gekommen bin ich erst, als ich diesen Brief gefunden habe. Wir haben einen garage sale gemacht – oder wie Grannie immer dazu gesagt hat: einen Flohmarkt. Und dort habe ich in einem alten Nachttisch diesen Brief gefunden, den ihr Georg geschrieben hat. Ich habe den Brief mit nach Deutschland genommen, weil ich hoffe, dass er mir dabei hilft, mehr über Grannies große Liebe herauszufinden. Auf der Rückseite des Briefes hatte Georg Grandma ein tolles Liebesgedicht geschrieben. An Suzanne – das ist Grannies Name –, und es war so dermaßen romantisch, dass ich beim Lesen Tränen in den Augen hatte. Ich fand es so schön, dass ich es auswendig gelernt habe:
    For Suzanne with all my love:
Suzanne takes you down to her place near the river.
You can hear the boats go by.
You can spend the night beside her.
And you know she’s half crazy,
But that’s why you want to be there.
And she feeds you tea and oranges that come all the way from China.
And just when you mean to tell her that you have no love to give her,
Then she gets you on her wavelength
And she lets the river answer.
That you’ve always been her lover.

And you want to travel with her,
And you want to travel blind,
And you know she will trust you,
For you’ve touched her perfect body with your mind.
    Komischerweise ist mir da erst klar geworden, dass Grannie auch ein Leben hatte, bevor ich auf die Welt gekommen bin, und sogar mal wahnsinnig verliebt war. Und dann habe ich sie, ohne den Brief zu erwähnen, so lange gelöchert, bis sie mir erzählt hat, was mit diesem Georg passiert ist, damals. Eigentlich wollte sie mit Georg zusammen nach Kalifornien gehen, aber er hat sie in letzter Sekunde im Stich gelassen und Grandma hat nie wieder von ihm gehört. Und sie wusste zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass sie schwanger von ihm war. Sieben Monate später wurde meine Mom geboren.
    Bis zu diesem Nachmittag hatte ich einfach immer nur gedacht, dass mein Großvater der Mann war, den Oma in Santa Barbara geheiratet hat – und den ich nie kennengelernt habe, weil sie sich kurz nach der Hochzeit wieder voneinander getrennt haben. Ihren Mann, Josh Applegate, hat sie damals nur wegen der Aufenthaltserlaubnis geheiratet und auch weil er ein sehr netter Mensch und ein guter Liebhaber gewesen wäre, wie Grannie mir grinsend in der Garage erzählt hat. Das hätte sie sicher noch weiter ausgeführt, wenn nicht Mom genau in diesem Moment hereingeplatzt wäre. Mom hasst es, wenn Oma von ihrem Sexleben spricht. Als Mom dann wieder weg war, hat Grannie mir noch gestanden, dass bei all den Lovern, die sie gehabt hat, nur ein einziger für sie je gezählt hat – und das sei Georg gewesen. Aber der hätte sich nun mal gegen sie entschieden, wäre entgegen ihrer Abmachung nie in den USA aufgekreuzt.
    Danach war ich wie besessen von der Idee »ihren Georg« – der ja schließlich mein Opa war – zu finden oder wenigstens herauszubekommen, warum er nie auf einen ihrer Briefe geantwortet hat.
    Ein Specht klopft an einen Baumstamm, ich schaue mich nach ihm um, kann ihn aber nirgends entdecken.
    Mia schläft schon fest, ihre Händchen liegen entspannt geöffnet neben ihr. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich etwas lautlos bewegt. Als ich mich in die Richtung drehe, erkenne ich ein rotes Eichhörnchen. Mein Blick folgt ihm, als es einen Stamm hochhuscht, und ich entdecke, dass die Baumkronen sich von beiden Seiten des Weges zu einem hohen Dach vereinigen.
    Ich fühle mich geschützt wie in einer Kathedrale aus goldfarben schimmernden Blättern, atme tief durch und habe zum ersten Mal, seit ich in Vegas

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