Liebesfluch
reißt mir das Telefon aus der Hand, noch bevor ich reagieren kann. »Hör mir zu, gib mir nur fünf Minuten, dann kannst du die Polizei rufen.«
Ich springe auf.
So nicht, nicht mit mir!
Ein stechender Schmerz durchschnellt meinen Knöchel, das Bein, jagt in meinen Kopf, mir wird übel, sehr übel und dann fängt alles an, sich zu drehen. Nein, nein, auf keinen Fall darf ich jetzt bewusstlos werden, was ist, wenn er dann mit den Kindern abhaut?
Ich beiße auf meine Lippen, aber das Wohnzimmer dreht sich noch schneller, wird schwarz – weiß – grobkörnig – flimmert, wird zu Silberregen, ich halte mich am Tisch fest, aber der dreht sich auch weg von mir. Dann ist es finster um mich.
16.
Schon kurz nach deiner Geburt warst du Dauergast auf unserer Station. Zunächst haben wir alle geglaubt, dass du eine sehr seltene Krankheit haben müsstest, und die Ärzte haben alles getan, um herauszufinden, was dir fehlt.
Mir ist so unendlich schlecht, als ich wieder zu mir komme. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich jemals wieder vom Boden hochkommen soll. Kalter Schweiß überzieht meinen Körper wie ein klebriger Film, meine Hände zittern. Und gerade als ich beschließe, für immer auf dem Boden liegen zu bleiben, höre ich Kinder weinen, ein beruhigendes »Schschsch« dringt an meine Ohren, dann klappt die Haustür zu.
Verdammt, dieser Mistkerl hat die Zwillinge doch mitgenommen! Warum habe ich auch nur eine Sekunde gezögert, die Polizei anzurufen? Eine Adrenalinwelle schießt durch meinen Körper und plötzlich bin ich hellwach. Ich muss sofort hinter ihm her!
Ich richte mich auf, kämpfe gegen den Schwindel, halte mich am Stuhl fest und ziehe mich hoch. Erneut bricht mir der Schweiß aus allen Poren, macht meine Hände glitschig.
Ich höre nichts. Nichts? Keinen Automotor. Es bleibt ruhig. Aber wie bringt er die Kinder dann weg?
Ja wohl kaum zu Fuß, auf Dauer sind die beiden viel zu schwer zum Tragen, und selbst wenn er sie in den Kinderwagen gesteckt hat und rennt, ist er nicht schnell genug. Es muss ihm doch klar sein, dass ich die Polizei rufen werde.
Aber bis die hier sind, ist er mit den Zwillingen sogar zu Fuß über alle Berge! Ich muss was tun, muss ihm hinterher.
Vorsichtig bewege ich mich in Richtung Haustür, stütze mich dabei am Tisch entlang ab und komme mir quälend langsam vor. Mein Knöchel tut verdammt weh, aber der Gedanke daran, was den Kindern alles passieren könnte, gibt mir so viel Kraft, dass ich es zur Haustür schaffe. Ich reiße sie auf und sehe gerade noch etwas am Wald aufblitzen. Pedalrücklichter! Ju ist mit dem Fahrrad unterwegs.
Super!
Endlich mal eine gute Nachricht.
Ich schnappe mir die Schlüssel von Anjas Auto vom Schlüsselbrett und hoffe, dass es auch eine Automatikgangschaltung hat. So schnell ich kann, humple ich zur Garage und werfe den Motor an. Erleichtert stelle ich fest, dass das Auto tatsächlich Automatik hat.
Ich steuere auf den Wald zu, den sandigen Weg hoch, der voller Schlaglöcher ist. Die Scheinwerferlichter hüpfen auf und ab, das Auto wird ziemlich durchgerüttelt und stechende Schmerzen schießen von meinem Fuß durch den ganzen Körper. Ich beiße die Zähne zusammen. Egal, ich muss Mia und Bennie zurückholen. Nur noch ein paar Meter, dann bin ich endlich auf dem Waldweg. Der Motor kommt mir schrecklich laut vor, überdröhnt sogar das Hämmern meines Pulses.
Endlich habe ich den Weg erreicht, der zwar ebenmäßiger, dafür aber auch nicht sonderlich breit ist. Ich bin noch nie auf einem schmalen Pfad durch einen dunklen Wald gefahren. Es ist gespenstisch, wie anders die Bäume aussehen, wenn sie von unten mit den Autoscheinwerfern beleuchtet werden. Sie wirken wie Riesen. Ich schalte das Fernlicht an und konzentriere mich auf den Weg, der vor mir liegt. Und ein paar Sekunden später kann ich tatsächlich Ju am Ende des Weges sehen und gebe ordentlich Gas.
Ich rase auf den Anhänger zu. »Gleich, ihr zwei Süßen, gleich bin ich bei euch und dann werde ich euch nie mehr aus den Augen lassen!«, flüstere ich, während ich versuche, mich auf den schmalen Waldweg zu konzentrieren.
Da, das Rücklicht des Anhängers leuchtet auf. Mit klopfendem Herzen fahre ich weiter, doch plötzlich ist Ju verschwunden. Er ist abgebogen, aber gleich hab ich ihn!
Oh verdammt, das gibt’s doch nicht! Bullshit!
Ich schaffe es gerade noch, vor der rot-weißen Schranke abzubremsen, die auf einmal mitten auf dem Weg steht, nachdem ich um die Ecke
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