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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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geglaubt, dass du eine sehr seltene Krankheit haben müsstest, und die Ärzte haben alles getan, um herauszufinden, was dir fehlt.
Aber ich kannte sie und wusste, dass sie schon ein Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren hatte, weil ihr Mann es mir erzählt hatte. Als Erklärung für ihr extrem überbehütendes Verhalten. Sie hat es aber niemandem auf der Station verraten – und das kam mir merkwürdig vor.
Außerdem ging es dir immer besser, wenn deine Mutter nicht in der Klinik war, und so kam es, dass ich anfing, einen ungeheuerlichen Verdacht zu schöpfen.
Doch weil ich es selbst kaum glauben konnte, ließ ich mich zum Nachtdienst versetzen, um sie zu beobachten, wenn sie nachts bei dir blieb. Und wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dann hätte ich es auch nicht für möglich gehalten.
Sie hat mit einer Injektionsnadel etwas in deine Infusion gespritzt. Ich wollte deshalb den Tropf sofort abschalten, was mir auch gelang. Leider hat sie dadurch gemerkt, dass ich ihrem kranken Treiben auf die Spur gekommen war.
Deshalb hat sie dann dafür gesorgt, dass ich versetzt wurde. Sie hat behauptet, ich hätte im Nachtdienst geschlafen und nach Alkohol gerochen, und da sie eine freundliche, gramgebeugte und junge attraktive Frau war und ich eine kinderlose, unattraktive Schwester, haben die Ärzte es vorgezogen, ihr zu glauben anstatt mir.
Damals kannte man dieses Krankheitsbild noch nicht. Niemand hätte mir geglaubt. Und deshalb musste ich handeln. Ich habe gekündigt und mir in Innsbruck eine neue Stelle gesucht. Als Krankenschwester findet man immer etwas.
Dann habe ich meinen nächsten Urlaub genutzt und dich zu mir geholt. Wenn du das euphemistisch formuliert findest, dann denk daran, wie ich dich geholt habe.
Immer wieder bin ich ihr gefolgt, weil ich sicher war, dass meine Chance kommen würde. An diesem kalten Wintertag ließ sie dich vor einem Geschäft draußen im Kinderwagen stehen, wo ich dich herausgenommen und in meinen mitgebrachten Wagen gesetzt habe.
Und ich schwöre dir, als sie herauskam, hat sie nicht einmal nach dir geschaut. Das war gut für uns, denn so hat sie erst später bemerkt, dass du weg bist. Und dann hat sie sich wie ein Profi in ihre Rolle als leidende Mutter gestürzt.
Doch da waren wir schon auf dem Weg zur Autobahn nach Innsbruck, wo ich alles für dich vorbereitet hatte. Auch meine Nachbarn wussten, dass ich den Sohn von der Oma holen würde.
Etwas schwieriger war es, dir die richtigen Papiere zu besorgen. Doch auch dies gelang mir, nachdem ich auf meiner Station Jahre später einen Standesbeamten nach einer Operation gepflegt habe. Die Menschen sind so dankbar, wenn man freundlich zu ihnen ist. Er war so großzügig, mich zu heiraten und dich zu adoptieren, bevor er gestorben ist. Aber wie du jetzt weißt, bist du kein Österreicher, sondern Deutscher und dein richtiger Name ist nicht Julius Polliwoda, sondern Jan Markus Zeltner.
Du musst mir glauben, ich hätte es dir gleich nach deinem achtzehnten Geburtstag selbst erklärt. Diesen Brief habe ich bei einem Notar hinterlegt, nur für den Fall, dass mir vorher etwas zustoßen sollte.
Ich bitte dich nochmals, an all die guten Stunden zu denken, die wir zusammen hatten. Es war wirklich nicht so, dass ich dich einer anderen Mutter geraubt habe, weil mir Kinderlosen der Sinn danach stand.
Vielmehr gibt es heute einen Namen für die Störung, unter der deine leibliche Mutter leidet: Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Doch damals – 1992 – hätte man mich für wahnsinnig erklärt und hätte ich tatenlos ihrem Treiben zugesehen, wärst du heute tot.
Bitte verzeih mir.
    Für immer
deine nicht leibliche, aber dich innig liebende Mutter
    Ute Hecht
    Ungläubig wandert mein Blick über die Seiten, die ich in den Händen halte. Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf. Es kommt mir so ungeheuerlich vor, dass ich gar nicht weiß, wie ich darauf reagieren oder was ich zu Ju sagen soll. Ich weiß nur eines: Ju sitzt hier. Neben mir. Und ich möchte ihn unbedingt trösten. Doch eine Frage brennt mir auf der Seele und ich muss sie ihm jetzt stellen.
    »Warum hast du dich mir nicht anvertraut? Warum hast du nicht gleich deine Geschichte erzählt, sondern mir solche Angst gemacht?«, frage ich vorsichtig und versuche, die Frage nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen.
    Ju seufzt. »Weil ich selbst vollkommen durcheinander war, weil ich nicht glauben konnte, was man mir angetan hatte. Vor allem wusste ich nicht, ob ich

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