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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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entwickeln immer neue Geschäftsideen.
    Neulich rief mich ein alter Bekannter an und fragte, ob ich einen Bienenzüchter in Berlin kenne. Sein Bruder habe es geschafft, eine sehr seltene Biene aus Sibirien hierherzutransportieren. Diese Biene sei besonders robust, mache Honig aus jedem Scheiß und könne sich sogar unter Wasser vermehren. Außerdem habe sie einen extradicken Pelz, der sie gegen die Kälte schütze. Eine Winterbiene also, teuer und äußerst gefragt. Seit zwei Wochen wohne sie in einem Plastikbehälter bei ihm in der Küche und werde von seinem Bruder täglich mit frischen Blumen gefüttert.
    »Ich kann die beiden nicht mehr sehen, bitte finde einen Bienenzüchter, damit dieses Insekt endlich aus meiner Wohnung verschwindet!«, bat mich der Bekannte am Telefon. Seine Stimme klang verzweifelt.
    Mich erinnerte diese Geschichte an den alten Zeichentrickfilm über die lustige Biene Maja:
    »In einem unbekannten Land, parapapa, parapapa, war eine Biene sehr bekannt, parapapa, parapapa …«
    Nur leider kannte ich keinen einzigen Bienenzüchter in
Berlin und vermutete sogar, dass man im zivilisierten Europa den Honig schon längst ohne Bienen, d. h. irgendwie automatisch aus Gummibärchen mache. Also empfahl ich meinem Freund, eine Annonce aufzugeben, unter der Rubrik »Haustiere«. Er sollte natürlich nicht »Lustige Biene aus Sibirien« schreiben, sondern sie neutral als seltenen Vogel aus der Karibik anpreisen. Er nahm meinen Ratschlag misstrauisch an. Ein Monat später traf ich ihn auf der Straße und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Wie geht’s deinem Bruder?«, fragte ich ihn.
    »Welchem Bruder? Ach dem! Mit dem will ich nichts mehr zu tun haben. Der ist schon längst wieder nach Hause gefahren«, murmelte mein Bekannter.
    »Und was ist mit der Biene, habt ihr sie verkauft?«
    »Nein, es war ein schrecklicher Unfall. Ich habe aus Versehen die Fenster offen gelassen, und ihr Plastikbecher war wahrscheinlich nicht richtig dicht, oder die Katze hat sie aufgefressen, weiß der Teufel, wie das passiert ist, aber auf jeden Fall war sie eines Tages einfach nicht mehr da! Am liebsten möchte ich die Geschichte so schnell wie möglich vergessen.«
    Ich war mir absolut sicher, dass mein Bekannter eine entscheidende Rolle im Leben der Biene gespielt hatte. Wahrscheinlich warf er sie eigenhändig aus dem Fenster, während sein Bruder schlief. Sie wird aber, denke ich, in Berlin nicht verloren gehen. Mit ihrem dicken Pelz hat diese sibirische Biene Maja hier nichts zu befürchten. Sie wird ein paar Runden über dem unbekannten Land drehen, parapapa, parapapa, sich dann vielleicht in Charlottenburg
niederlassen, parapapa, parapapa, eine preußische Hummel kennenlernen, parapapa, parapapa, Nachkommen produzieren, parapapa, parapapa, und aus allen Berliner Linden und Kastanien Honig machen. Und wenn die Stadt irgendwann einmal voller Honig ist, dann kommen vielleicht eines Tages auch noch die sibirischen Bären nach Berlin.

Am Abgrund
    Von Naturkatastrophen ist Deutschland bis jetzt im Großen und Ganzen verschont geblieben, abgesehen von jährlichen Überschwemmungen, die in manchen, nahe an einem See gelegenen Städten, regelmäßig für Badespaß in der Küche sorgen. Dafür aber hat Deutschland genügend soziale Katastrophen erlebt. Mehrmals ist das Land aus Trümmern wiederauferstanden. Die Deutschen sind ein traumatisiertes Volk, das immer wieder am Abgrund stand, sie wissen: Man kann nie vorsichtig genug sein. Darum haben sie ein enorm starkes Bedürfnis nach Sicherheit und schließen viele Versicherungen ab, von deren Existenz andere Völker der Welt nicht einmal annähernd eine Ahnung haben.
    Doch Angst kann man anscheinend nicht mit Versicherungspolicen heilen. Mein Nachbar beispielsweise ist die Vorsicht in Person. Nach mehreren Tagen Dauerfernsehen hat er eine panische Angst vor Tsunamis entwickelt. Auf meine Versuche, ihn mit dem Hinweis zu beruhigen, eine solche Welle sei in Berlin unwahrscheinlich, weil es in der Spree zu wenig Wasser dafür gäbe, außerdem bleibe dann immer noch die Möglichkeit, sich im Fall der Fälle an den Fernsehturm zu ketten, meinte er nur, man müsse immer
auch mit dem Unwahrscheinlichen rechnen. Es würde mich nicht wundern, wenn er mit Flossen und Schnorchel schlafen ginge.
    Nachdem ein Erdbeben in Japan ein Atomkraftwerk beschädigte, trieb mein Nachbar irgendwo einen alten Geigerzähler auf und maß, aus bloßem Interesse, wie er meinte, an mehreren Stellen bei uns im

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