Liebeskind
fand Doreen dann doch noch etwas, das mit den Morden im Zusammenhang stand. Es war ein Bericht über die Bürgerwehr, die sich nach dem Verbrechen an Torsten Lorenz im Landkreis formiert hatte. Daneben war ein Interview mit Martin Schmidt abgedruckt, dem Vorsitzenden des Gewerbevereins, der tatsächlich einen unerschütterlichen Glauben in die Stärke seiner Wehr zu besitzen schien. „Wer immer das Phantom ist, das da um unsere Häuser herumschleicht, wir werden ihm schon beikommen“, wurde er zitiert. „Ab sofort zeigen wir Präsenz auf unseren Straßen, vor allem wenn es dunkel wird. Jeder, der sich an unserer Aktion beteiligen möchte, ist herzlich willkommen.“
Nur noch ein Tag, dann würde Arno endlich zurück sein. Wahrscheinlich würde er vorschlagen, dass sich ihre Familie endlich einen Hund anschaffen sollte. Einen großen Hund, in dessen Natur es lag, sich unterzuordnen, zu gehorchen, und der sie bewachte. Ein Schäferhund oder Rottweiler musste es sein, etwas anderes kam für Arno nicht infrage. Reinrassig, mit abgeschlossener Schutzhundausbildung und ein Rüde, natürlich. Doreen hatte davon bisher nichts wissen wollen und dagegen gemeint, dass ein kleiner Pudel als Spielkamerad für Martha völlig ausreichend wäre. Vielleicht würde sie diesmal aber zustimmen. Mit einem Rottweiler zu leben war allemal besser, als sich ständig sorgen zu müssen.
Eine Brasilianerin sei die neue Flamme von Jan, hatte Tom gesagt. Anna sah in Gedanken ein ebenmäßiges und zugleichausdrucksstarkes Gesicht vor sich, das kaum geschminkt und von langen, lockigen Haaren umrahmt war. Sie sah gebräunte Haut, natürlich ohne Cellulitis, dazu einen wohlgeformten Hintern und Brüste, so aufrecht, dass man eine Tasse darauf hätte abstellen können. Kurz, sie sah einen fleischgewordenen Männertraum vor sich. Dazu eine samtweiche Stimme, die mit betörendem Akzent kluge Dinge sagte, während sie vor Jan Samba tanzte. Hatte sie sich die echte Paola tatsächlich so vorzustellen? Nur noch ein paar Tage, dann würde Anna ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Und vor allem würde sie Jan wiedersehen. Ihren Schwager Jan, den Anna in den letzten Monaten so erfolgreich verdrängt hatte. Anna wusste, dass die Gefahr, sich erneut mit ihm einzulassen, noch lange nicht vorüber war. Nur noch ein paar Tage, und sie wusste noch immer nicht, wie sie sich auf diese Begegnung vorbereiten sollte. Am besten, sie konzentrierte sich zuerst einmal auf die praktischen Dinge, wie zum Beispiel darauf, das Bett im Gästezimmer neu zu beziehen. Außerdem würde sie für ihre Gäste etwas kochen, denn das wollte sie auf keinen Fall ihrer Mutter Elisabeth überlassen. Anna überlegte, etwas Leichtes zuzubereiten, irgendetwas mit wenig Kalorien. In Brasilien sollte ja wohl mittlerweile jeder dritte Einwohner zu dick sein, besonders betroffen davon junge Frauen.
„Telefon für Sie, es ist Frau Mondt.“
Weber hielt Anna den Hörer hin.
„So, Frau Greve, ich habe mich noch einmal im Kollegium umgehört, aber leider weiß niemand genau, wo Dr. Grütter heute lebt. Von Mallorca, Menorca, Formentera, bis hin zu Ibiza war da alles dabei. Aber ich kann Ihnen sein Geburtsdatum nennen. Haben Sie etwas zu schreiben?“
Im Anschluss an das Gespräch mit Frau Mondt rief Anna gleich noch ein zweites Mal beim Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung an, doch auch heute schien das Telefon dort nicht besetzt zu sein. Obwohl es erst kurz vor zwölf war; aber wahrscheinlich machten sie schon Mittagspause, dachte Anna ärgerlich. Außerdem war Freitag, da würde in der Behörde wohl sowieso nur bis 14.00 Uhr gearbeitet werden, wenn nicht sogar schon ab 13.00 Uhr alles dicht wäre.
„Wollen wir zusammen in die Kantine gehen, Weber?“
Wenig später kaute Anna auf einem Brötchen herum und sah Weber dabei zu, wie er eine Gänsekeule abnagte.
„In der Vorweihnachtszeit gibt’s hier wirklich gute Sachen“, sagte er, während er sich mit einem Fingernagel hinter vorgehaltener Hand die letzten Gänsereste aus den Zahnzwischenräumen pulte. „Der Rotkohl war auch nicht schlecht. Nur für die Knödel gehört denen eins übergezogen. Haben Sie schon einmal richtige Knödel gegessen, Anna?“
„Ist nicht so ganz mein Geschmack.“
„Aber einen Germknödel zum Nachttisch, den nehmen Sie doch, oder? Und danach erzähle ich Ihnen wirklich interessante Neuigkeiten über Monika Diebach.“
Lukas Weber stand bereits wieder in der Schlange vor
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