Liebeskind
der Essensausgabe an, als Martin Schönauer zu Annas Tisch herüberkam.
„Ihnen sind die vielen Überstunden gar nicht anzusehen, Frau Greve.“
„Wie?“
„Ich weiß doch, dass Sie in den letzten Nächten unterwegs gewesen sind. Sie haben sich an einer nicht genehmigten Observation beteiligt.“
„Aha.“
„Woher ich das weiß, spielt keine Rolle, aber ich warne Sie. Hier werden Köpfe rollen, wenn sich Herr Sibelius nicht endlich dazu durchringt, ordnungsgemäß mit uns zusammenzuarbeiten.“
„Wer ist denn wir? Gibt es denn jetzt schon eine Doppelspitze im Präsidium, von der ich bisher noch nichts gehört habe? So etwas wie den großen Unbekannten im Hintergrund?“
„Seien Sie vorsichtig, Frau Greve. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Einen schönen Tag noch.“
Weber kam zurück und stellte einen Teller mit einem Kloß vor Anna auf den Tisch, dessen Konsistenz und Farbe Anna unwillkürlich an Spermaflüssigkeit denken ließ.
„Igitt, essen Sie das Zeug von mir aus im Büro, Weber. Wir müssen reden.“
„Während Sie zu Ende essen, werde ich eben noch einmal kurz telefonieren. Mit vollem Mund ist eh keine vernünftige Unterhaltung möglich.“
Anna sah Weber dabei zu, wie er an seinem Schreibtisch saß und die Reste seines Nachtischs verschlang. Wie schon vorhin wählte sie die Telefonnummer des Landesamtes für Bezüge und Versorgung, und diesmal nahm nach dem achten Klingen endlich jemand den Hörer ab. Anna stellte sich vor und erklärte ihr Anliegen.
„Das wird nicht so einfach werden, Frau Kommissarin. Um herauszubekommen, auf welches Konto die Pensionsbezüge von Herrn Grütter derzeit monatlich überwiesen werden, brauche ich zuerst einmal seine Personalnummer.“
„Aber Sie müssen doch irgendeine Datei haben, in der alle Informationen zur Person zusammenlaufen und gespeichert sind. Schließlich sind Sie die ausführende Behördein dieser Sache. Wir ermitteln hier immerhin in zwei Mordfällen, und Herr Dr. Grütter könnte ein wichtiger Zeuge sein.“
Der Behördenmann schnaufte.
„Gute Frau, heute ist Freitag. Außerdem hat der zuständige Sachbearbeiter zurzeit Urlaub. Rufen Sie am Montag wieder an, am besten zwischen zehn und zwölf Uhr. Dann sehen wir weiter.“
Anna knallte den Hörer auf, dann wählte sie noch einmal die Telefonnummer des Merschenfelder Gymnasiums, doch auch hier war das Wochenende offensichtlich schon eingeläutet worden.
„Wir haben den falschen Job, Weber. Schulsekretärin sollte man sein oder Behördenhansel.“
Weber schob sich den letzten Löffel seines Nachtischs in den Mund und fragte: „Was ist denn nun eigentlich so Wichtiges passiert, dass ich in der Kantine nicht einmal mehr in Ruhe zu Ende essen konnte?“
„Martin Schönauer scheint mitbekommen zu haben, dass wir Hajo Wieland ohne vorherige Rücksprache mit seinem Büro überwacht haben.“
„Na und?“
„Er hat mir gedroht, Weber. Es würden Köpfe rollen, wenn wir uns weigern, mit ihm zusammenzuarbeiten, hat er gesagt. Hörte sich an, als könnten die sogar vorhaben, unsere Abteilung zu zerschlagen.“
„Darüber müssen wir den Chef auf der Stelle informieren.“
„Aber die Giraffe bleibt diesmal draußen, Weber. Ich kann mir schon vorstellen, wer Martin Schönauer einen Tipp gegeben hat.“
Günther Sibelius hatte Anna und Weber aufmerksam zugehört, dann knüllte er das Papier, das er in seinen Händen hielt, zu einem Wurfgeschoss zusammen.
„Was bildet sich dieser Kerl überhaupt ein! Wenn ihm etwas nicht passt, soll er mir das gefälligst selbst sagen.“
Günther Sibelius griff zum Telefon.
„Der soll mich kennen lernen!“
„Chef, meinen Sie nicht, es wäre besser, wenn wir unser Vorgehen zuerst in aller Ruhe beraten würden?“
„Ich trage hier die Verantwortung, keine Angst, Weber. Martin Schönauer wird Ihnen schon nicht den Kopf abreißen.“
„Weber hat Recht, Chef, diese Sache betrifft uns schließlich alle.“
„Also, was schlagen Sie vor, Frau Greve?“
„Was können die uns überhaupt vorwerfen? Schließlich haben wir Hajo Wieland in unserer Freizeit observiert. Allerdings finde ich es bemerkenswert, dass die Information überhaupt zu Martin Schönauer gelangt ist. Ich befürchte, wir haben ein Loch in unserer Abteilung, Herr Sibelius. Wir können davon ausgehen, dass es niemand von uns gewesen ist, und auch Antonia Schenkenberg ist absolut vertrauenswürdig.“
„Bleibt die Kollegin Markisch. Holen Sie sie her, Frau Greve“,
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