Liebeskind
schnaubte Günther Sibelius wütend.
Sigrid Markisch war betroffen, als sie von dem Verdacht gegen sich erfuhr.
„Auch wenn ich die Vorgehensweise von Herrn Schönauer insgesamt richtig finde, weiß ich doch, wem gegenüber ich verpflichtet bin, Herr Sibelius. Ich habe Sie in der Sache Wieland unterstützt, also hänge ich genau so mit drin wie alle anderen. Halten Sie mich wirklich für so dumm, mich selbst zu verpfeifen?“
Ein Argument, gegen das es auf den ersten Blick nichts zu sagen gab. Dennoch ahnte Anna, dass niemand anderer als die Giraffe für diesen Verrat verantwortlich war. Vielleicht hatte Sigrid Markisch ja sogar von Anfang an eine Absprache mit Martin Schönauer getroffen. Sie versorgte ihn mit Informationen über das Geschehen im Dezernat, und er revanchierte sich bei ihr dafür beizeiten mit einem Job als Kommissarin in Hamburg. Schließlich war der Wechsel nach Hamburg schon von vornherein ihr erstrebtes Ziel gewesen.
„Ach, bevor ich es vergesse, es gibt auch noch etwas Neues zu Monika Diebach, Chef“, meldete sich Weber zu Wort. „Ich habe noch einmal in dem Hamburger Hotel nachgefragt, in dem Frau Diebach während des Ärztekongresses abgestiegen ist. An dem Abend, als Torsten Lorenz umgebracht worden ist, hat sie das Hotel tatsächlich noch einmal verlassen. Der für ihre Etage zuständige Kellner hat Frau Diebach weggehen sehen, gerade als er ihr das von ihr bestellte Essen aufs Zimmer bringen wollte. An ihre Tür hatte sie einen Zettel geklebt, dass man klingeln und anschließend das georderte Essen vor die Tür stellen solle.“
„Das heißt, Monika Diebach hat nicht die Wahrheit gesagt. Sie könnte in der Tat nach Maschen gefahren und Torsten Lorenz getötet haben. Gut gemacht, Weber. Laden Sie bitte Frau Diebach für morgen ins Präsidium vor, denn ich möchte unbedingt erfahren, wie sie uns die Beobachtung des Etagenkellners erklärt. Aber kommen wir noch einmal auf Martin Schönauer zurück, Kollegen. Wie geht es jetzt weiter? Sollen wir uns etwa von ein paar Betonköpfen in der Behörde vorschreiben lassen, wie wir unsere Arbeit zu erledigen haben?“
„Der Chef hat Recht“, erwiderte Anna. „Ich bin heute Abend jedenfalls wieder mit dabei.“
Diesmal hatte auch die Sigrid Markisch nichts anderes vor. Also übernahm Anna zusammen mit Weber die erste Schicht an diesem Abend. Um Mitternacht würden sie dann von ihren Kollegen abgelöst werden.
Der Lieferwagen des wunderbar zerzausten Tischlers hatte nun bereits seit zwei Tagen nicht mehr vor dem Haus von Doreen geparkt. Außerdem klingelte das junge Mädchen, das Elsa in den letzten Tagen schon häufiger gesehen hatte, auch heute wieder an der Haustür der Familie Rost. Sie schien der Babysitter für die kleine Martha zu sein und kam immer dann, wenn das Auto des Tischlers fort war und Doreen sich auf den Weg zu ihrem Fitnessclub machte.
Wenn alles genauso verlief wie in den letzten Tagen, würde Doreen schon sehr bald aufbrechen. Elsa zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke hoch und nahm ihre Handschuhe vom Beifahrersitz. Dann stieg sie auf ihr Klapprad und fuhr in die Dunkelheit hinein. Elsa musste ihren Plan auf Doreens Hinweg zu ihrer Sportstunde in die Tat umsetzen. So blieb ihr genug Zeit, ihre Spuren zu verwischen und zu verschwinden, bevor die Tat bemerkt wurde. Doreen war bisher immer so gegen zehn Uhr von ihrer dämlichen Hüpferei zurückgekommen, also würde der Babysitter vermutlich nichts vor halb elf Uhr unternehmen. Damit hatte Elsa einen Vorsprung von drei Stunden gewonnen.
Der kalte Fahrtwind schnitt Elsa ins Gesicht, doch sie spürte ihn nicht. Wenig später hatte sie die Stelle erreicht, die sie für ihre Rache an der Verräterin ausgewählt hatte. Elsa versteckte sich hinter ein paar großen Bäumen in derNähe des Feldweges und wartete. Das mitgebrachte Nylonseil hatte sie bereits straff über den Feldweg gespannt, hoch genug, dass es Doreen in Brusthöhe treffen würde. Gut, dass es so lausig kalt und ungemütlich war, dachte Elsa. So würde wohl kaum noch jemand auf die Idee kommen, mit dem Fahrrad irgendwohin zu fahren, und sie möglicherweise stören. Während Elsa den Waldweg nicht aus den Augen ließ, kam ihr plötzlich in den Sinn, dass sie ebenfalls von jemandem beobachtet werden könnte. Oder hatte ihr der Erfolg, den sie bei Rainer und Torsten gehabt hatte, etwa die Sinne vernebelt? Manchmal, wenn sie Doreen umkreist hatte, war es ihr so vorgekommen, als spürte sie fremde Blicke in
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