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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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Elsa horchte angestrengt in die Stille hinein. Hatte Doreen etwa den Schein ihrer Taschenlampe gesehen? Die Sekunden verstrichen quälend langsam, aber Elsa glaubte, dort hinten am Waldweg soeben noch ein rotes Leuchten gesehen zu haben. Wie von einem Katzenauge, dem Rückstrahler eines altertümlichen Rades. Elsa rückte ein paar Schritte aus ihrer Deckung hervor. Wenn Doreen tatsächlich umgedreht sein sollte, musste sie das Nylonseil bald wieder entfernen. Vielleicht war es ja ganz gut so. Dann würde es diesen gemeinsamen Moment doch noch geben, bevor es für Doreen ans Sterben ging. Möglicherweise würde Doreen dann gar nicht sterben müssen. In der Ferne flackerte jetzt wieder eine kleine gelbe Fahrradlampe auf. Schneller als vorhin näherte sie sich der Stelle, an der Elsa wartete.
    „Seht euch an, wie rot sie ist!“
    Plötzlich hatte Elsa wieder Doreens Lachen an jenem schrecklichen Nachmittag vor langer Zeit im Ohr, glockenhell war es gewesen und gehässig. Elsa wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. Nein, es war entschieden zuspät, um die Geschichte mit Doreen noch einmal an den Anfang zurückzudrehen. Nicht mehr lang, dann würde die Jugendfreundin auf Elsas Höhe sein, und ein paar Meter weiter spannte sich das Nylonseil.
    Schon wieder war es weit nach Mitternacht, als Anna Greve zu ihrem Mann Tom ins Bett gekrochen kam. Die vergangenen Stunden hatte sie zusammen mit Weber in ihrem Auto vor dem Haus von Hajo Wieland verbracht. Heute hatte er seine Freundin Marianne Lorenz nicht besucht, und auch draußen war niemand um das Haus herumgeschlichen. Die einzige Abwechslung für Anna und Weber war eine Gruppe durch die Neubausiedlung patrouillierender Männer gewesen, die dabei auch an ihre Autotür geklopft hatten. Weber und Anna hatten den bläulichen Blitzen aus dem Fernseher im Wohnzimmer der Wielands zugesehen, bis das Licht dann gegen elf gelöscht worden war.
    Tom war aufgewacht und näher an Anna herangerückt. „Ben hat schon wieder eine Fünf in Mathe geschrieben. Was sagt eigentlich seine Lehrerin dazu? Wird er die Versetzung in die nächste Klasse schaffen?“
    „Das möchte ich auch gern wissen“, murmelte Anna schläfrig. „Aber leider bin ich bisher noch nicht dazu gekommen, einen Termin mit Bens Lehrerin zu vereinbaren. Sprich du doch mal mit ihr.“
    „Was?“
    Anna knipste das Licht wieder an, suchte einen Zettel und einen Kugelschreiber in ihrem Nachttisch und schrieb Tom die Telefonnummer des Gymnasiums auf, die sie mittlerweile auswendig kannte. „Frag nach Frau Gerber.“
    „Seit wann muss ich mich denn um so etwas kümmern?“

    „Ich denke, ihr seid so prima Kumpel. Da wirst du dir doch wohl mal eine halbe Stunde Zeit für deinen Sohn nehmen können. Außerdem, wenn du die Sache in die Hand nimmst, klappt es bestimmt.“
    Anna löschte das Licht und drehte sich auf die Seite. Jetzt schaltete Tom neben ihr seine Nachttischlampe an und schulterte sein Bettzeug.
    „Besser, ich lasse dich heute Nacht allein, damit du ungestört schlafen kannst. Du scheinst ja wirklich einen verdammt harten Tag hinter dir zu haben.“
    Nachdem Tom gegangen war, konnte Anna noch lange nicht einschlafen. Warum war der Alltag mit Tom nur dermaßen kompliziert? Nur noch ein paar Tage, dachte sie, dann würde sie Jan wieder begegnen. Dem Mann, der alles für sie hätte sein können, wenn sie damals nur etwas mehr Mut aufgebracht hätte. Und wie sah es heute aus mit ihrem Mut?
    Doreen trat weiter kräftig in die Pedale. Nur noch ein paar Minuten, sprach sie sich Mut zu, dann würde sie wieder auf der Hauptstraße sein. Zunächst führte der Weg aber einmal ein Stück bergab, also nahm sie die Füße von den Pedalen und ließ es rollen. Doreen genoss die schnelle Fahrt sogar ein bisschen, denn sie fühlte sich stark. Es war ein gutes Gefühl, sich ihrer Angst gestellt zu haben und als Siegerin aus diesem Kampf hervorgegangen zu sein. Jetzt würde alles gut werden. Doreen lachte. Sie lachte noch, als sie plötzlich auf einen für sie unsichtbaren Widerstand traf, der sie vom Sitz ihres Fahrrads und zu Boden schleuderte. Im nächsten Moment fand sich Doreen auf dem verschneiten Waldboden wieder, ihr rechtes Bein war im Rahmen des Hinterrades eingeklemmt. Sie befreite sich mühsam und blinzelte in die Dunkelheithinein, doch ihr Gesicht war voller Schnee, sodass sie kaum etwas erkennen konnte. Hatte etwa eine Baumwurzel ihren Sturz verursacht? Doreen spürte einen Schmerz quer über ihrer Brust,

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