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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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auch nur als Zeugin. Aber es hatte kein Foto gegeben, nur eine vage Personenbeschreibung. Mit Abscheu erinnerte sich Elsa an den Abend in Torstens Fabrik zurück. Wie geil er gewesen war in der Vorfreude darauf, seinen Schwanz in ihrem Mund zu wissen. In diesem Augenblick musste es für ihn ähnlich gewesen sein wie für sie damals, als er sie in den Schuppen geführt hatte. Nein, zum Teufel, da gab es einen großenUnterschied. Sie hatte ihn geliebt! Er hatte das dagegen nie getan.
    Elsa schaltete ihr Handy aus, sie wollte jetzt mit niemandem sprechen. Besonders nicht mit Robin. Sie trieb auf ihrem Bett dahin wie der schiffbrüchige Mann auf seinem Holzbalken. Wie sollte es weitergehen? Wo war der Knopf, mit dem sie alles auf den Anfang zurückstellen konnte? Und wie sollte sie ihren Frieden mit Vera machen, wenn diese nur noch herumsabberte und senil war wie ein altes Weib? Andererseits war ihre Mutter ja auch ein altes Weib, wahrscheinlich würde sie Elsa nicht einmal mehr erkennen. Elsa schwamm in einem Meer von Zeit. Ihr begann die Arbeit zu fehlen, den ganzen Tag über so gut wie keine feste Struktur zu haben war ein ungewohnter Zustand für sie. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb sie in den letzten Tagen immer mehr in trübe Gedanken verfiel. Und möglicherweise auch der Grund für ihre seltsamen Träume. Erst letzte Nacht hatte Elsa ihren Vater vor sich gesehen, so, als wäre er leibhaftig zurückgekehrt. In seiner braunen, grob gestrickten Jacke mit den losen Knöpfen aus Hirschhorn hatte er auf dem geblümten Sofa gelegen und am lärmenden Fernseher vorbei an die Wand gestarrt. Sie hatte schon genau hinschauen müssen, um das zu bemerken. Vera hatte ihm immer Fernsehsucht unterstellt oder aber Trägheit, doch nie hatte sie angenommen, dass er große Sorgen mit sich herumgetragen hatte. Im Wachen gelang es Elsa ganz gut, die Erinnerungen an ihren Vater zu verdrängen. Und auch die Tatsache, dass er sie verlassen hatte. Doch die Vergangenheit ließ sich nicht bewältigen, indem man sie zu vergessen suchte. Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen, hatte irgendwann einmal ein Therapeut zu ihr gesagt. Elsa hatte sichnicht angesprochen gefühlt. Sein Gerede hatte lediglich die Erkenntnis in ihr hinterlassen, dass dieser Kerl sie nicht verstand. Wütend war sie gewesen. Warum gab es denn niemanden, der sich in ihre Gefühlswelt hineinversetzen konnte? Elsa hatte von Selbstmord gesprochen, danach den Arzt bedroht, und als das alles nichts geholfen hatte, die Therapie abgebrochen. Wie all die anderen zuvor. Elsa weinte in ihrem Meer von Zeit. Was sollte die überflüssige Erinnerung daran, dass man sich seiner Vergangenheit bewusst sein musste, um sie zu bewältigen, gerade jetzt in ihren Gedanken?
    Als Anna Greve an diesem Morgen ins Büro kam, strahlte Weber ihr entgegen. Er war gerade dabei, seinen Schreibtisch aufzuräumen, von Werner Bertram keine Spur.
    „Was macht der Junge?“
    „Ist seit heute beim Betrugsdezernat.“
    Anna setzte sich auf seinen Stuhl und legte ihre Füße auf die herausgezogene Schreibtischschublade.
    „Dann können wir ja endlich wieder an die Arbeit gehen.“
    Schon wollte sie die Gelegenheit nutzen, um über Sigrid Markisch zu lästern, als die Giraffe, elegant wie immer, zur Tür hereinkam. Als sie an ihrer schlanken, ganz in Schwarz gekleideten Gestalt hinaufsah, wusste Anna, dass es immer so sein würde. Diese Frau hätte einen Kopfstand oder sonst irgendeine andere abenteuerliche Akrobatik für sie aufführen können, Anna würde sie trotzdem nicht sympathisch finden. Niemals würde sie sich entschließen können, Sigrid Markisch zu mögen.
    Zu dritt fuhren sie in die Maschener Fabrik und machten sich daran, den Rest der Belegschaft zu befragen. Danachsetzten sie sich zusammen und tauschten ihre Ergebnisse aus. Aber außer Verdächtigungen und Anspielungen einiger Mitarbeiter gegen so manchen Arbeitskollegen hatten sie auch heute nichts von Bedeutung herausgefunden. Trotzdem war Anna nicht unzufrieden. Denn zwischen den Zeilen war das Bild, das sie sich von Torsten Lorenz gemacht hatte, bestätigt worden. Offensichtlich gab es Menschen, die dem Fabrikanten seinen Erfolg durchaus missgönnt hatten, doch keiner von ihnen schien ihn genug gehasst zu haben, um diesen brutalen Mord zu begehen.
    „Wir sollten noch einmal zu dritt mit Marianne Lorenz sprechen“, schlug Anna vor.
    Weber nickte, aber Sigrid Markisch sah darin keinen Sinn,

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