Liebeskind
Hausstand ihrer Mutter. Elsa wurde heiß beim Anblick des alten Sofas mit dem geblümten Stoffüberzug, auf dem sie schon als Kind gesessen hatte. Wie konnte er nur in einer solchen Umgebung leben? Robin schien ihren Blick aufgefangen zu haben, aber anstatt etwas zu sagen, stand er auf und machte sich daran, Kaffee zu kochen. Anschließend kam er mit zwei von Veras goldverzierten Tassen und Tellern aus dem Service für besondere Anlässe zurück und stellte sie neben die Keksdose auf den Tisch.
„Bist du schon bei Mutter gewesen?“
Elsa spürte, wie sich der Schweiß in der Falte unter ihrer Brust sammelte.
„Ich hatte Sehnsucht nach dir.“
Sie versuchte ein zuversichtliches Lächeln.
„Warum bist du hier?“
„Ich überlege, wieder zurückzukommen. Will mich nach einem neuen Job umsehen, ich bin erst seit ein paar Stunden in der Stadt.“
In seinem Gesicht zeigte sich für einen Moment der alte sanfte Robinkinderblick.
„Das ist schön, ich könnte deine Hilfe gut brauchen. Gestern hat mich Mutter nicht einmal mehr erkannt.“
„Du weißt doch, dass das unmöglich ist.“
Robin schenkte den Kaffee ein, dann setzte er sich ihr gegenüber auf das geblümte Sofa. Wie er so dasaß, erinnerte er sie an Friedrich, ihren Vater.
„Warum eigentlich? Sie ist eine alte, kranke Frau, Elsa, und ich habe es überdies satt, mit allem allein dazustehen, während sich meine beiden Schwestern in der Welt herumtreiben.“
Warum musste er nur wieder mit den alten Geschichten anfangen. Das alte Geschirr war schon schlimm genug. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, über ihn den Einstieg in ihr altes Leben versuchen zu wollen. Andererseits, wer außer Robin käme dafür in Frage? Und was war überhaupt ihr altes Leben? Was hatte sie nur erwartet?
„Entschuldige mich für einen Augenblick.“
In der Küche öffnete Elsa das kleine Fenster, und endlich gelangte etwas winterliche Luft in die stickigen Räume. Gierig atmete sie die Frische ein, hielt auch die feuchten Stellen ihres Pullovers unter den Achselhöhlen in den Wind. Als sie zu ihrem Bruder zurückkam, schwitzte sie nicht mehr. Und es schien ihr alles gesagt zu sein.
„Ich hätte nicht herkommen sollen. Mach’s gut Robin.“
„Warte, geh jetzt nicht fort. Wie kann ich dich erreichen?“
Elsa gab keine Antwort; sie ließ die Holztür laut ins Schloss fallen. Die Straße draußen vor ihr war weihnachtlich geschmückt.
„Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie bei Marianne Lorenz gewesen sind?“
Annas Augen funkelten dunkel.
Sigrid Markisch stand auf. Sie schaute auf ihre Kollegin herunter und stellte somit das gewohnte Größenverhältnis wieder her.
„Wenn ich gewusst hätte, dass das ein Problem für Sie ist, hätte ich selbstverständlich vorher um Erlaubnis gefragt. Aber ich habe Ihnen das Protokoll sowieso bereits kopiert.“
Sie drückte Anna einige mit einer Büroklammer zusammengeheftete Seiten Papier in die Hand.
„Was macht es Ihnen eigentlich so schwer, mit uns an einem Strang zu ziehen?“
Sigrid Markisch lächelte, während sie es sich wieder auf ihrem Stuhl gemütlich machte. Sie zupfte die Bügelfalte ihrer Stoffhose gerade und sagte: „Ich bin nach Hamburg gekommen, um erfolgreich zu arbeiten.“
Anna hatte das Bedürfnis zu schreien, stattdessen wurde ihre Stimme sanft und leise.
„Was glauben Sie, Frau Markisch, warum hat der Täter das Gesicht von Rainer Herold zerschnitten? Warum hat er Torsten Lorenz kastriert?“
„Wenn wir ihn haben, werde ich ihn danach fragen.“
„Einer, den man um seine Ersparnisse betrügt, würde seine Opfer bestimmt nicht auf eine solche Art und Weise verstümmeln. Nein, da wollte jemand ein Zeichen setzen. Ein Mensch, dessen Gefühle tief verletzt worden sind.“
Sigrid Markisch nahm ihren Mantel aus dem Schrank.
„Wir müssen jetzt zu unserem Termin in der Näherei losfahren. Sonst kommen wir zu spät und werden vielleicht niemals herausbekommen, wer der Täter ist. Verfolgen Sie Ihre Spur, Frau Greve, ich bleibe bei meiner Theorie. Am Ende zählt nur das Resultat.“
Am liebsten hätte sich Anna auf einen Platz im hinteren Teil des Dienstwagens verdrückt, dann hatte sie sich aber doch vorn auf die Beifahrerseite neben Sigrid Markisch gesetzt. Die Fahrt verlief einsilbig, und nur wenig später standen sie in einem kaum geheizten Büro der Fabrikhalle in Maschen. Vor ihnen lagen zahlreiche Gespräche mit Menschen, die für Torsten Lorenz gearbeitet hatten. Es
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