Liebeskind
nachdenken.“
„Schön, dass Sie kommen. Ich bin noch einmal die Akten durchgegangen.“
Sigrid Markisch hatte etwas Triumphierendes im Blick und ließ Anna und Weber kaum die Zeit, ihre Mäntel auszuziehen.
„Hier, sehen Sie sich bitte die von mir markierten Passagen an. Wir müssen noch einmal ganz von vorn beginnen.“
Anna überflog die rot unterstrichenen Sätze aus den Protokollen, die sie bisher zusammengetragen hatten. Dann schob sie die Seiten zu Weber hinüber.
„Ab sofort werden wir dem Umfeld von Herold und Lorenz die richtigen Fragen stellen. Die beiden haben, wie es aussieht, zusammengearbeitet und versucht, Vermögensanlagen unter die Leute zu bringen, das wird immer wahrscheinlicher. Torsten Lorenz könnte Rainer Herold die solvente Klientel vermittelt und einen Anteil an den dafür ausgezahlten Provisionen erhalten haben. Nun kam es ja in der letzten Zeit zu einigen Turbulenzen auf dem weltweiten Geldmarkt, und nicht wenige Anleger haben dabei Geld verloren. Rainer Herolds Eltern sagten aus, dass ihr Sohn am nächsten Vormittag einen wichtigen geschäftlichen Termin gehabt hätte. Warum nicht mit einem privaten Anleger, den er um seine Existenzgebracht hat? Dieser Mann könnte rotgesehen haben. Wir werden das Motiv nur finden, wenn wir endlich an den passenden Stellen danach suchen.“
Lukas Weber runzelte die Stirn.
„Selbst wenn die beiden da was zusammen gedreht haben sollten, lebte Rainer Herold trotzdem weit weg in New York. Wie sollte der Täter erfahren haben, dass er gerade zufällig in der Gegend ist? Und was könnte Herold veranlasst haben, sich mit jemandem, von dem nichts als Ärger zu erwarten war, zu nachtschlafender Zeit allein am ZOB zu treffen?“
„Falls meine Hypothese richtig ist und der Täter mit Rainer Herold am nächsten Tag einen Termin gehabt hat, musste er nichts weiter tun, als Herolds Elternhaus zu beobachten. Er könnte ihm nachgefahren sein und so den rechten Moment für den Mord abgepasst haben. Wenn Sie also etwas herausfinden, ich bin in meinem Büro.“
Sigrid Markisch rückte ihre Zickenbrille gerade und drehte sich auf dem Absatz um. Weber sah Anna von der Seite an, aber die hatte sich bereits hinter einer Akte vergraben, worauf er sich ebenfalls an die Arbeit machte. Nach einer Weile schloss Anna seufzend den Aktendeckel.
„Torsten Lorenz scheint keine finanziellen Probleme gehabt zu haben. Seine Auftragsbücher sind voll, und darüber hinaus besaß er eine Kundschaft, die ihre Rechnungen pünktlich bezahlte. Welchen Grund sollte er also gehabt haben, seine Bekannten zu irgendwelchen risikoreichen Börsengeschäften mit seinem Jugendfreund Rainer Herold zu verleiten?“
Nachdem Webers Recherchen genauso wenig erfolgreich ausgefallen waren, rief er Sigrid Markisch an, und kurz darauf besprachen sie die Ergebnisse.
„Wenn es jedem Menschen finanziell so gut ginge, wie es Torsten Lorenz gegangen ist, hätten wir weniger Probleme in unserem Land.“
Sigrid Markisch kratzte sich an der Nase.
„Freut mich für die Erben“, erwiderte sie mit kurzem Nicken zu Anna Greve. „Trotzdem gebe ich noch nicht auf. Ich werde mir daher noch ansehen, wie es in der Vergangenheit um die finanzielle Lage der Firma bestellt war. Die Maschinen in der Näherei sehen teilweise relativ neu aus, alles vom Feinsten. Und trotzdem halten sich Lorenz’ Verbindlichkeiten gegenüber der Hausbank in Grenzen. Mit etwas Glück finde ich ja etwas auf einem seiner alten Konten. Vielleicht einen verstaubten Einzahlungsbeleg, für den es keine Rechnung gibt.“
Sigrid Markisch nahm ihre Unterlagen, schickte ein letztes Lachen in Richtung Weber und verschwand dann wieder in ihrem Abstellraum. Mittlerweile bedauerte Anna nicht mehr, dass die Giraffe darauf bestanden hatte, allein zu arbeiten.
Missmutig starrte die Kommissarin in den bedeckten Himmel. Draußen regnete es, alles war grau in grau. Im Süden von Deutschland hatte es in den letzten Tagen dagegen viel geschneit, Anna hatte die Bilder gestern Abend in den Nachrichten gesehen. Wie sehr wünschte sie sich so einen weißen Mantel auch für ihre Region. Allein, die Groß-wetterlage deutete auch weiterhin auf Sturm, Regen und Wind und keineswegs auf Frost. Wie viele Jahre ging das jetzt schon so? Anna konnte sich seit ihre Söhne auf der Welt waren nicht daran erinnern, in dieser Gegend jemals einen tief verschneiten Weihnachtsabend erlebt zu haben. Mittlerweile war die Aussicht auf ein paar romantische Wintertage sogar
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