Liebeskind
Überzeugenderes einfallen lassen musste.
„Ich habe das Zeug von ’nem Freund gekauft, aber ich möchte ihn nicht verpfeifen, verstehst du?“
„Natürlich, aber wir müssen trotzdem wissen, was hier läuft, Ben, denn wir machen uns schließlich Sorgen um dich. Außerdem haben wir dir bisher noch niemals den Kopf abgerissen, wenn du uns die Wahrheit gesagt hast. Und daran hat sich bis heute auch nichts geändert.“
„O. k., ich hab das Gras von Flo bekommen. Er dealt nebenbei, Mama, du weißt doch, was bei Flo los ist.“
„Ja, ich weiß.“ Anna nahm ihren Sohn in den Arm und drückte ihn fest. „Ich danke dir für dein Vertrauen, Ben. Und mach dir keine Sorgen, ich werde Florians Eltern nur im äußersten Notfall, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt, darüber informieren. Aber ich will auf jeden Fall mit Flo sprechen, sag ihm das.“
Als Anna wenig später im Badezimmer stand und sich abschminkte, zog sie ihrem Spiegelbild eine furchterregendeGrimasse. Sie war einerseits stolz auf sich, andererseits war sie jedoch noch immer wütend auf Tom.
„Du bist mir keine sehr große Hilfe gewesen!“, fauchte sie ihren Mann kurz darauf im Schlafzimmer an.
„Ich habe eben nicht geglaubt, dass wir mit Härte etwas bei Ben erreichen können. Vielleicht habe ich mich getäuscht.“
„Was heißt denn hier Härte, Tom, wo es ausschließlich um Klarheit geht. Werde doch endlich mal erwachsen und verhalte dich gegenüber deinen Söhnen so, wie es einem Vater entspricht!“
In welcher Werkstatt konnte sich Doreen verkrochen haben? Elsa hatte das Branchenbuch des Landkreises auf ihren Knien und strich die in Frage kommenden Handwerksbetriebe an. Noch hatte sie keine Ahnung, welche Geschichte sie den Leuten erzählen wollte, um herauszubekommen, wo Doreen mittlerweile lebte. Sie konnte schließlich schlecht vorgeben, sich einen Schrank tischlern lassen zu wollen, nur um die einzelnen Schreiner dann besser nach den Geburtsnamen ihrer Ehefrauen fragen zu können. Nein, Elsa brauchte einen anderen Vorwand. Einen, der so außergewöhnlich oder interessant war, dass man ihr zuhörte.
Elsa steckte sich eine der Cocktailtomaten in den Mund, die sie zuvor im Supermarkt an der Ecke erstanden hatte. Die Frucht war leuchtend rot und schmeckte nach nichts, dennoch nahm Elsa eine weitere aus der Plastikverpackung. Während sie kaute, wurde ihr warm. Das hatte sie doch schon einmal erlebt. Damals, als sie noch bei ihren Eltern gewohnt hatte, war es genauso gewesen. Seit dieser Zeit hatte sich allerdings sehr viel verändert,selbst ihr Körpergefühl. Mittlerweile war Elsa meistens warm, ohne dass sie etwas essen musste. Aber seit ihrem Erlebnis mit Torsten in der Fabrikhalle hatte sie auf einmal erneut tagsüber zu frieren angefangen, und sie schwitzte, sobald es dunkel wurde. Wahrscheinlich fror sie nur, weil sie ihre bequeme Winterkleidung im Schrank ihrer Wohnung im Taunus vergessen hatte. Vielleicht sollte sie losgehen, um sich einen dicken Wollpullover und eine lange Unterhose zu kaufen. Ja, wenn ihr erst eine gute Geschichte eingefallen wäre, um an Doreen heranzukommen, würde sie sich damit belohnen. Und sie musste sich heute unbedingt noch bei Robin melden. Ob er etwas von Rainers und Torstens Tod mitbekommen hatte? Früher hatte Robin niemals Zeitung gelesen, und jetzt lebte er in der Stadt. Dort ereigneten sich jeden Tag aufs Neue so viele berichtenswerte Ereignisse, dass eine Mordgeschichte aus der Provinz vielleicht gar nicht weiter auffiel. Obwohl, er hatte sie bei ihrem letzten Besuch so seltsam angesehen. Auf jeden Fall musste sie weiterhin Interesse an Vera heucheln, schon damit Robin nicht misstrauisch wurde. Wahrscheinlich würde sie auch nicht darum herumkommen, ihre Mutter zumindest ein einziges Mal zu besuchen, aber vielleicht ließ sich das wenigstens noch ein paar Tage hinauszögern. Und mit etwas Glück würde bis dahin alles erledigt sein.
Elsa in Maschen, im Herbst 1985.
Jede Nacht Gezeter und Streit, es war unerträglich geworden zu Hause. Am Vormittag hatte Vera wieder einmal einen ihrer Ausflüge in die Stadt unternommen. Friedrich schien irgendwie erleichtert darüber zu sein, dass sie nur noch ab und zu das Haus verließ. Zurück kam Vera dann immer mit vollen Taschen, es gab so vieles, das sie unbedingt brauchte. Ein neues Küchengerät, das in Windeseile Obst und Gemüse zerkleinern konnte und wirklich leicht zu reinigen war, oder die moderne Trockenhaube bei Schröders aus dem
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