Liebeskind
gekommen, Forderungen an Friedrich zu stellen. Sie stand nun schon eine Weile vor dem Haus von Doreen herum, hoffentlich hatte sie noch niemand bemerkt. Elsa beeilte sich, aus dem Lichtkegel des Eingangs wegzukommen. Schnell machte sie sich davon, dorthin, wo ihr Bett stand. Sie schloss die Haustür auf, durchquerte leise den Flur. Nur noch ein kurzes Stück bis zur Treppe. Die geöffnete Küchentür gab ihr den Blick auf Vera frei. Vor ihr auf dem Tisch standen eine Flasche und ein Schnapsglas. Wie immer war die viel zu helle Deckenbeleuchtung mit der Neonröhre eingeschaltet. Warum gab es keine Kerzen in dem Haus, in dem ihr Bett stand?
Nun spähte Elsa durch das Milchglas der Wohnzimmertür. Es fehlten die Stimmen, die Musik und der bläuliche Schimmer. Kein flackerndes Licht wie sonst, wenn der Fernseher lief. Wo war bloß ihr Vater geblieben?
Als die Kommissare das Wirtshaus in Maschen betraten, fanden sie alles genau wie beim ersten Mal vor. Alfred Biesterfeld, der Wirt des „Maschener Hofs“, stand mit seiner Angestellten Elfi Graf hinter der Theke. Sie sprachen miteinander und schauten kaum auf, als Anna und Weber hereinkamen. Die Gaststube war leer bis auf zwei Männer, die an einem Tisch in der Mitte des Raumes saßen und aßen. Beide hatten rindslederne schwarze Aktentaschen auf den freien Stühlen neben sich abgestellt. Vielleicht waren sie nur so blank geputzt, um über ihren banalen Inhalt wie Seifenproben oder Versicherungsformulare hinwegzutäuschen, überlegte Anna.
„Wenn wir mit den Leuten aus dem Dorf ins Gespräch kommen wollen, müssen wir später wiederkommen. Außerdem ist mir jetzt eh mehr nach ’ner Currywurst.“
Weber drehte sich um und zog Anna mit sich fort.
„Konnten Sie vorhin schon mal in die Unterlagen von Schönauer reinsehen, Anna? Nicht alles, was dort steht,scheint mir falsch zu sein. Vielleicht lassen sich ja Kompromisse finden.“
„Schönauer ist keiner, mit dem man diskutieren kann. Der ist es gewohnt, die Richtung, in die es geht, allein zu bestimmen.“
„Trotzdem, möglicherweise haben gerade Sie eine Chance, mit Schönauer ins Gespräch zu kommen. Er schien mir ziemlich beeindruckt von Ihnen gewesen zu sein. Also lächeln Sie, machen Sie ein paar verführerische Augenaufschläge, und nebenbei schieben Sie ihm unsere Verbesserungsvorschläge unter.“ Weber grinste in Annas staunendes Gesicht, die ihren Kollegen noch nie in einer solchen Art und Weise hatte reden hören. „So, und jetzt habe ich eine Idee, wie wir uns die Zeit bis zum Abend vertreiben können, kommen Sie, Anna.“
Hilde und Paul Herold standen im vorderen Teil ihres Gartens und lieferten sich ein heftiges Wortgefecht. Der Mann hielt dabei das Ende einer Lichterkette in der Hand und gab Anweisungen, während seine Frau Hilde vergeblich versuchte, das zu einem Knäuel verschlungene Kabel am anderen Ende zu entwirren. An die Tanne vor ihrem Haus war eine Leiter aus Metall gelehnt. Anna schmunzelte. Also war sie nicht die Einzige, die sich wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit von Neuem mit den gleichen Widrigkeiten herumschlug.
Als Hilde Herold Anna und Weber bemerkte, fiel ihr der Kabelsalat aus der Hand, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Sie wirkte fast ein wenig schuldbewusst, wie sie nun von einem Bein auf das andere trat. Was wahrscheinlich aber nur an der Kälte lag, denn seit gestern war die Temperatur auf weit unter null Grad abgesunken.
„Haben Sie einen Moment Zeit?“, fragte Weber.
Mit schnellen Schritten ging ihnen Hilde Herold ins Haus voran, um dann nur wenig später frisch gebrühten Kaffee in ihre Tassen zu füllen.
„Sie müssen nicht denken, dass wir Rainer vergessen haben“, begann sie. Augenblicklich füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie bekam kein Wort mehr heraus. Paul Herold führte ihren Satz zu Ende.
„Wir versuchen nur, uns zu beschäftigen.“
„Herr Herold, es ist gut möglich, dass der Mord an Torsten Lorenz mit dem Verbrechen an Ihrem Sohn in Zusammenhang steht. Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit, und uns ist zu Ohren gekommen, dass sie sich“ –Weber suchte nach den richtigen Worten – „nicht immer anständig gegenüber anderen verhalten haben.“
Paul Herold schaute Weber voller Verachtung an.
„Wir sind von Anfang an gegen diese Freundschaft gewesen, Torsten hat seit jeher einen schlechten Einfluss auf unseren Sohn ausgeübt.“
Oder anders herum, dachte Anna und fragte: „Erinnern Sie sich an jemanden, dem die
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