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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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kurz darauf mit einem Tablett voller Getränke an Anna Greve vorbei, die sie nun am Nebentisch verteilte. Die Kommissarin stand auf und stellte sich hinter sie.
    „Auf ein Wort, Frau Graf.“
    Die Kellnerin drehte sich genervt zu Anna um.
    „Ist schlecht im Moment, das sehen Sie doch.“
    Die Kommissarin bestellte sich einen Wein und wartete. Sie vertrieb sich die Zeit, indem sie die anderen Gäste beobachtete. Vier alte Männer saßen an einem Tisch zusammen und spielten Karten. Vielleicht hatten sie schon ihr ganzes Leben miteinander in diesem Dorf verbracht. Zuerst in der Schule in der hintersten Reihe, dann im Konfirmandenunterricht. Hatten sich in die gleichen Mädchen verguckt, ihre Junggesellenabschiede in VossensScheune gefeiert und anschließend ihre Hochzeiten. Obwohl – sie waren zu einer Zeit aufgewachsen, in der der Zweite Weltkrieg bestimmend für ihre Lebensläufe gewesen war. Und dieser hatte mit Sicherheit ganz andere Ereignisse und Erinnerungen hinterlassen als das, was Anna sich gerade vorstellte. Trotzdem spann sie ihren Faden weiter, sah nun eine Reihe von Kindstaufen, runden Geburtstagen und Beerdigungen vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen und geriet dadurch in eine melancholische Stimmung. Dabei wirkten die Alten nebenan eigentlich ganz zufrieden. An einem großen Tisch in der Ecke saß dagegen allerlei junges Volk, das sich unter viel Gelächter und Gejohle vergnügte. Die anderen Gäste ließen sich durch den Lärm nicht stören. Sie schienen zu wissen, dass es keinen anderen Platz in ihrem Ort gab, an dem sich junge Leute treffen und sogar noch die eigenen Getränke mitbringen konnten. Außerdem sicherte man sich so den trinkfesten Nachwuchs und verlor die Brut nicht aus den Augen. Elfi hatte noch immer alle Hände voll zu tun, und es sah nicht danach aus, als ob sich daran so bald etwas ändern würde. Also leerte Anna ihr Glas und zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche.
    „Besuchen Sie mich morgen Vormittag bitte im Präsidium, Frau Graf. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten.“
    An diesem Abend war Ben noch nicht nach Hause gekommen, obwohl es mittlerweile schon nach neun Uhr war.
    „Hat er nicht gesagt, wo er hin will?“ Anna stand am Fenster und beobachtete die Straße vor ihrem Haus. Tom trat nun ebenfalls ans Fenster und stellte sich hinter seine Frau.

    „Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er nach dem Abendbrot noch einmal weggegangen ist.“
    „Aber Ben muss doch morgen zur ersten Stunde in der Schule sein. Wenn er kommt, müssen wir endlich ein ernstes Wort mit ihm reden. Glaubt er wirklich, uns auf diese Weise permanent ausweichen zu können?“
    Das Telefon schrillte laut durch das ansonsten stille Haus. Anna lief in den Flur und nahm den Hörer ab.
    „High Mama, ich bin’s. Du, ich bin noch bei Leon, fahre aber demnächst los.“
    „Du kommst jetzt sofort nach Haus!“, meinte Anna nur und legte auf.
    Als Ben wenig später vor seinen Eltern stand, wirkte er wie ein kleiner Junge, wie ein ABC-Schütze aus der ersten Klasse. In seinem Blick war keine Spur von Trotz zu lesen, nur ein schuldbewusstes Abwarten. Den Kopf hatte er vorsorglich eingezogen, als ob er erwartete, dass gleich ein Gewittersturm über ihn hereinbrechen würde.
    „Du wolltest uns noch sagen, woher du das Gras bekommen hast, Ben“, begann Anna.
    Jetzt lag ein trotziger Ausdruck in seinen Augen.
    „Wollte ich nicht.“
    „Nun mach schon. Außerdem hast du dich bei uns abzumelden, wenn du am Abend noch einmal fortgehst.“
    „Na, schön. Da stand neulich so ’n Typ vor der Schule, von dem hab ich es gekauft.“
    „Was ist das für ein Mann gewesen?“
    „Weiß ich nicht, aber ich habe gehört, dass der wohl öfter bei der Schule herumsteht.“
    „Würdest du ihn wiedererkennen, Ben?“
    „Willst du mich jetzt etwa auf deine Wache schleppen, damit ich mir Verbrecherfotos angucke?“

    Das Grinsen in Bens Gesicht ließ Anna vermuten, dass sich ihr Sohn soeben nur irgendeine Geschichte ausgedacht hatte, um die wirklichen Zusammenhänge seiner Drogenbeschaffung zu verschleiern. Sie wollte gerade zu einer angemessenen Antwort ansetzen, als sie Toms Hand auf ihrem Arm spürte.
    „Es ist spät geworden, geh jetzt schlafen, Ben“, sagte er sanft.
    „Nein, heute gibt es keine Vertagung mehr, schließlich hast du genug Zeit zum Nachdenken gehabt“, widersprach Anna ihrem Mann.
    Und Ben, der vor wenigen Augenblicken noch siegesgewiss gewesen war, wusste, dass er sich nun etwas

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