Liebeskind
gewesen?“
„Nur die ersten vier Jahre, Torsten und Rainer wechselten anschließend aufs Gymnasium. Ich habe darin keinen Sinn gesehen.“
Ihr Gesicht nahm einen missmutigen Ausdruck an.
„Dann könnte der Kontakt zum Täter wie auch zu
Monika Diebach erst in den darauffolgenden Jahren entstanden sein,“ murmelte Anna leise vor sich hin.
„Haben Sie am vergangenen Montag und Donnerstag gearbeitet?“
Elfi Graf blickte aus dem Fenster und schwieg.
Die Kommissarin lächelte freundlich. „Das ist reine Routine. Wir stellen diese Frage jedem, der die beiden Männer gekannt hat.“
„Montag ist bei uns Ruhetag, da bin ich beim Kartenabend. Machen wir seit Jahren, immer umschichtig. Letzten Montag waren die Frauen bei mir, Donnerstag habe ich gearbeitet.“
Elsa in Maschen, im Herbst 1985.
Als Elsa aufwachte, war es still im Haus. In ihr war eine große Freude, und durch ihren Körper ging ein Kribbeln, wie sonst nur am ersten Tag der Sommerferien. Es war noch früh, und Elsa machte sich fein für den neuen Morgen. Sie zog ihren Lieblingspullover an, den schwarzen. Dazu die hellblaue Jeans, von der Friedrich gesagt hatte, dass sie ihr so gut stand. Leicht lief sie die Treppe hinunter. Dort saß Vera am Küchentisch und rauchte. Neben dem überquellenden Aschenbecher flogen Reste von verglommenen Zigaretten auf der karierten Tischdecke herum. Das Haar der Mutter war zerzaust und die Strickjacke über dem blauen Nachthemd falsch zugeknöpft. Auf der Ablage neben der Spüle stand eine leere Schnapsflasche, auf dem Fußboden davor rollten Bierflaschen.
„Frühstück fällt heute aus“, lallte Vera. „Kannst dich bei deinem Vater dafür bedanken.“
Elsa füllte die Kaffeemaschine mit Pulver und Wasser, das Kännchen mit Milch, die kleine Schale mit Zucker und stellte zwei Becher auf den Tisch. Jetzt war das Kribbeln irgendwie anders. Es hatte sich um ihre Brust gelegt und machte das Atmen schwer.
„Was ist denn passiert, Mama?“
Vera stützte den Kopf in ihre Hände und fing zu weinen an.
„Der Saukerl hat sich aus dem Staub gemacht.“
Elsas Herz pochte so laut, dass sie etwas tun musste, damit Vera es nicht hörte. Sie stellte das Radio an. Dann legte sie ihren Arm um die Schultern der Mutter und strich ihr die fransigen Haare aus dem Gesicht. Wie sollte sie jetzt, so kurz vor der Schule, noch ihre nötigsten Sachen packen? Warum hatte Friedrich ihr nicht gesagt, dass heute der große Tag wäre, an dem sich alles ändern würde?
Vera starrte ihre Tochter wie von weither an.
„Ja, meine Große, ab sofort werden wir die Sache hier allein hinbekommen müssen. Ich zähle auf dich.“
„Aber hat Papa denn nichts aufgeschrieben?“
„Er ist nicht mal dazu gekommen, Geld dazulassen. Was hast du denn erwartet?“
Das Kribbeln war noch immer da, doch jetzt wurden ihr die Beine taub davon. Nachdem sie ihre Zimmertür abgeschlossen hatte, öffnete Elsa die Holzschachtel, aber heute hatte sie keinen Blick für die bunten Glasscherben übrig. Sie nahm eine von Friedrichs Klingen heraus, kleine unscheinbare Rechtecke aus Metall, die er sonst in seinen Rasierer einlegte. Qualität von Wilkinson stand oben auf der Verpackung. Elsa prüfte die Schärfe der Rasierklinge. Auf ihrer Fingerkuppe bildete sich sogleich ein Blutstropfen, der schnell größer wurde. Sie würde vorsichtig sein, beim ersten Mal.
„Guten Tag, ich rufe von der Firma Elektrofox an. Herzlichen Glückwunsch, Herr Hartung, Sie sind ausgelost worden.“
Elsa klang freundlich und bestimmt. Genauso, wie man es von einer professionellen Telefonistin erwartete.
„Ja, wofür denn?“
„Unser Betrieb feiert dieses Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Aus gegebenem Anlass haben wir deshalb für einige ausgewählte Haushalte eine Überraschung vorbereitet, und Sie gehören zu den Glücklichen, Herr Hartung. Wir kommen zu Ihnen und säubern als kleines Dankeschön für Ihre Treue kostenlos und fachgerecht Ihren Teppichboden, die Polstermöbel oder was Ihnen sonst noch so am Herzen liegt.“
„Moment mal, ich gebe Ihnen meine Frau.“
Nach diesem Muster waren bisher fast alle Gespräche verlaufen. Nur einer hatte seine Mutter an den Apparatholen wollen, da hatte Elsa schnell aufgelegt. So war sie nacheinander die infrage kommenden Anschlüsse durchgegangen und hatte fiktive Termine vereinbart. Einmal war sie sich nicht sicher gewesen, ob die Stimme am anderen Ende der Leitung zu Doreen gehörte, weshalb sie die Frau so lange in ein
Weitere Kostenlose Bücher