Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Handtasche, in das sie den Namen des italienischen Weinhändlers und Wagenbesitzers geschrieben hatte. Das Büchlein klappte an der Stelle auf, wo das freizügige Jugendfoto der Psychologin steckte.
»Er heißt Carlo Natale.«
»Natale? Den kenne ich doch«, rief Seehafer. »Bei dem bin ich Stammkunde. Er hat einen phänomenalen Sangiovese . Vielleicht läßt sich das mit dem Wagen ja unbürokratisch regeln.«
Noch während er sprach, legte Mathilde das alte Nacktfoto vor Seehafer auf den Tisch.
»Sind Sie das?«
»Ich muß doch bitten«, erwiderte Mathilde. »Es fiel kürzlich aus einem alten Buch meines Mannes heraus.«
Seehafer rückte seine Brille zurecht und betrachtete das Foto, wobei er den Kopf hin und her drehte wie ein Vogel.
»Ein seltsames Bild, nicht wahr?« meinte Mathilde.
»Ja. Unheimlich. Wer ist das?«
»Die Psychologin, Treeske Tiffin. Glaube ich zumindest ziemlich sicher. Wußten Sie, daß sie und Lukas Nachbarskinder waren?«
»Nein.«
»Später war sie seine Assistentin bei den Seminaren«, sagte Mathilde.
»Ja, ich erinnere mich. Wir haben sie im Rahmen der Ermittlungen befragt. Aber sie war für uns nicht sehr interessant, weil sie zum Zeitpunkt des Mordes an Petra Machowiak nicht mehr für ihn gearbeitet hat.«
»Aber als Ann-Marie Pogge und Johanna Gissel verschwanden, war sie seine Mitarbeiterin.«
»Schon, ja. Aber bei Johanna Gissel wurde Feller, wie gesagt, nicht genauer überprüft. Erst als sein Name im Zusammenhang mit Ann-Marie Pogge erneut auftauchte, hat man ihn sorgfältiger unter die Lupe genommen. Ich weiß nicht, ob die Tiffin damals befragt wurde, aber wenn, dann ist sie uns jedenfalls nicht aufgefallen. Erst nach dem Tod der Machowiak ist dann jeder in die Zange genommen worden, der irgendwie mit Feller zu tun hatte.«
»Auch seine Mutter?« fragte Mathilde.
»Ja, natürlich.«
»Wie war sie?«
Seehafer atmete tief durch. »Wie soll ich sagen … sie gehört wohl zu jenen Frauen, die vom Schicksal um ihr Leben betrogen worden waren und sich nun an Äußerlichkeiten klammerten:das tadellos aufgeräumte Haus, der geschorene Rasen, all das. Sie machte auf mich keinen sonderlich warmherzigen Eindruck, aber auch keinen gefühllosen. Ich meine, sie schien nicht gerade verroht, sie war allenfalls – verhärtet. Man konnte ahnen, daß sie in ihrem Leben mehr gelitten als gelacht hatte.«
Mathilde nickte. Sie kannte solche Frauen. Eigentlich, dachte sie, hatte ich mit der impulsiven, gefühlsbetonten Franziska doch ziemlich Glück. Eine Welle der Trauer drohte sie fortzureißen, als sie an all die Mißverständnisse und die verpaßten Gelegenheiten dachte. Aus Selbstschutz besann sie sich deshalb lieber auf das vorangegangene Thema.
»Zuletzt hat Treeske Tiffin in demselben Gefängnis gearbeitet, in dem Lukas inhaftiert war. Sie hat sich mir gegenüber als seine Therapeutin ausgegeben. Dabei war Lukas gar nicht in Therapie.«
»Was wollte sie von Ihnen?«
»Wenn ich das wüßte. Angeblich wollte sie mich vor der Ehe mit ihm warnen.«
»Aha.«
»Leider ist es ihr nicht gelungen.«
»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«
»Weil ich gewisse Zusammenhänge selbst erst vor wenigen Tagen erkannt habe.«
Nun kam Leben in den müden Kommissar. Er deutete mit dem Finger auf Mathilde und sagte: »Ich kann Ihnen auch etwas zu dieser Frau Tiffin erzählen. Als Sie heute auf der Dienststelle ihren Namen erwähnten, ist es mir wieder eingefallen: Sie stand beim Prozeß auf der Zeugenliste der Staatsanwaltschaft. Es kam aber nicht mehr zu ihrer Aussage, weil Feller am fünften Tag des Prozesses den Totschlag im Affekt gestanden hat.«
»Sie meinen, er hat gestanden, damit sie nicht aussagen mußte?«
»Das ist möglich«, sagte Seehafer vorsichtig. »Nach dem, was ich nun weiß, sogar wahrscheinlich. Glauben Sie mir, so ein Prozeß hat seine eigene Dynamik. Ich war dabei, als einer der ersten Zeugen. Danach habe ich zugesehen, jeden Tag. Fellers Ausgangsposition war eigentlich gar nicht so schlecht. Aber irgendwie lief alles nicht besonders gut für ihn. Der Staatsanwalt war ein recht scharfer Hund, und dann dieser Gutachter, Dr. Zihlmann – der hat durch sein souveränes Auftreten alle Anwesenden davon überzeugt, daß Feller ein Psychopath ist. So, wie ich diese Frau Tiffin in Erinnerung habe, ist sie ein nervöser, labiler Typ. Feller mußte befürchten, daß sie unter dem Druck eines Kreuzverhörs einknicken und erzählen würde, was sie wußte.«
Weitere Kostenlose Bücher