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Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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darüber Bescheid?« fragte Mathilde. Jens mußte etwa in ihrem Alter sein, aber sie fand es unangebracht, ihn einfach zu duzen.
    »Ich habe mal eine Diplomarbeit darüber geschrieben, seither verfolge ich das Thema«, antwortete er.
    Leona fragte: »Woran erkenne ich denn nun einen Psychopathen, falls ich mal einen treffen sollte?«
    »Gar nicht«, antwortete Jens. »Im Gegenteil, er wird dein Vertrauen gewinnen und dich in Sicherheit wiegen. Denn wenn sie intelligent sind, tarnen sie ihren Gefühlsmangel perfekt. Es gibt unter ihnen sehr einnehmende Persönlichkeiten, die sogar ihre Therapeuten hinters Licht führen.«
    »Man kann demnach keinem Menschen trauen«, folgerte Leona.
    Florian trug sechs Champagnergläser auf einem Tablett herein.
    »Genau«, sagte er, stellte das Tablett ab und legte seine kühlen Hände von hinten um Mathildes Hals. Mathilde zuckte zusammen. Florian küßte sie übermütig auf die Schulter. Sein Dreitagebart kratzte. Ingolf Keusemann und seine Frau tauschten einen Blick, der sie verriet. Dieser Abend würde die Lästermäuler stopfen, hoffte Mathilde. Und auch Leona würde, obwohl sie loyal war, eine solche Neuigkeit nicht lange für sich behalten können. Ein zwölf Jahre jüngerer Liebhaber – genau dieser Hauch von Unmoral und Verruchtheit hatte ihrem Image noch gefehlt.
    Mathilde legte eine neue CD ein. Klaviermusik perlte durch den Raum, den sie ihren »Salon« nannte. Sie hatte die Wand zwischen Wohn- und Eßzimmer herausreißen lassen, so daß eine großzügige Zimmerflucht entstanden war.
    Florian reichte die Champagnergläser herum.
    »Leute, es ist zwölf Uhr! Trinken wir auf Mathildes Geburtstag!«
    Mathilde, die schon einige Gläser intus hatte, war plötzlich so, als würde sie auf die Szene herunterschauen wie eine Zuschauerin vom Balkon eines Theaters. Es war einer dieser Augenblicke, in denen ihr das Leben perfekt vorkam: die Kerzen auf dem Tisch, die Musik, die Gäste, die gegessen, getrunken, ihre Kochkünste gelobt, ihre Wohnung bewundert und ihre Hutsammlung bestaunt hatten, ihr Liebhaber, das frisch bezogene Bett, das nebenan auf sie wartete. Und mitten in diesem Zustand satter Vollkommenheit spürte sie auf einmal, wie ein Gefühl der Kälte herankroch. Es hatte nichts mit der Temperatur im Raum zu tun. Es war die Angst, irgend etwas könnte dieses perfekte Leben zerstören.

2
     
    Es war bereits acht Uhr, als Mathilde leise aufstand. Zuerst machte sie ihre Yogaübungen: zwanzig Sonnengebete, zwei Minuten Kopfstand. Sie unterdrückte den starken Drang, sofort mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Florian könnte davon aufwachen und mit ihr frühstücken wollen. Mathilde haßte Anblick und Geräusche brötchenkauender Menschen, besonders am Morgen. Zu dieser Zeit brauchte sie das Alleinsein unbedingt und uneingeschränkt. Schon der Anblick des schlafenden Geliebten hatte in ihr die brennende Sehnsucht nach seiner Abwesenheit geweckt. Ich bin eine Frau für die Nacht, bereits das Frühstück danach überfordert mich, erkannte sie. Sie setzte Teewasser auf und ging die Zeitung holen.
    Im ersten Stock konnte es passieren, daß man von einem Schwall Maiglöckchenparfum und Geschwätz überfallen wurde, weshalb Mathilde an dieser Stelle ihre Schritte dämpfte. Heute jedoch drangen fremde Stimmen und abgestandene Luft aus der offenen Wohnungstür in den kühlen Hausflur. Mathilde eilte mit angehaltenem Atem weiter. Die Haustür stand sperrangelweit offen, davor parkte ein schwarzer Kombi mit Gardinen in den hinteren Fenstern.
    Auf dem Rückweg mußte Mathilde dem Transportsarg ausweichen, der von zwei Männern in dunkler Kleidung hinuntergetragen wurde. Sie rief sich die Landtagsabgeordnetenwitwe im Treppenhaus ins Gedächtnis: ein über den Stufen schwankendes Gesäß in chinablauer Seide, ein von zu viel Kosmetik erschlafftes Gesicht mit aufgemalten Augenbrauen. Schon die ganze Woche, fiel Mathilde nun ein, war es da unten verdächtig ruhig gewesen. Weder an den Sternstunden der Volksmusik, noch an den deutschen Schlagerjuwelen hatte sie, auf dem Balkon sitzend, akustisch teilhaben dürfen. Wie einsam mußte man sich fühlen, um sich der synthetischen Fröhlichkeit solcher Programme auszuliefern? Hatte die Frau etwa tagelang tot in ihrer Wohnung gelegen? Vielleicht wird mir das auch eines Tages passieren, dachte Mathilde.
    Sie goß Tee auf und zog zur Ablenkung eine Tarotkarte. Die drei Stäbe: Tugend. Sehr passend an diesem Morgen, dachte sie amüsiert, als das

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