Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
angenehm, auf dem Balkon zu sitzen, und er sagte, ja, Joséphine hat hier viel gelegen, bevor sie ins Krankenhaus gekommen ist, und eine andere Frau sagte, so ein schöner Tag ist das heute, der erste Frühlingstag, wurde mir klar, daß ihre Stimmen von einem Balkon kamen, der das Schlafzimmer mit dem Wohnzimmer verband, einem Balkon, von dessen Existenz ich bis dahin nichts gewußt hatte. Durch den heruntergelassenen Rolladen konnte ich sie sogar sitzen sehen, gemütlich um einen runden Rattantisch, vermutlich hatten sie sich erlaubt, vor dem französischen Lärm im Wohnzimmer zu fliehen und auf dem Balkon eine stolze Eingeborenenenklave zu gründen, die von ihren Heldentaten sprach.
Mir kam es vor, als sähe ich eine Theateraufführung, nur gab es hier statt einem Stück mit einem Schauspieler ein Stück mit nur einem Zuschauer, dafür aber mehrere Schauspieler, ich glaubte die dritte Person durch den Rolladen erkannt zu haben, und ich fragte mich, ob das alles für mich bestimmt war, ob sie sich mir zu Ehren auf den Balkon gesetzt hatten, damit ich sie besser hören konnte, oder ob sie trotz meiner geheimen Anwesenheit hier saßen, und im ersten Moment war ich gar nicht so sehr beeindruckt von dem, was ich hörte, die klaren Stimmen selbst waren mir wichtiger als die Neuigkeiten. Daß ich nicht die Ohren anstrengen mußte, um das Gemurmel hinter den Wänden zu verstehen, daß mir alles zum Bett gebracht wurde wie von einem Room Service, kam mir wie ein Traum vor, über den man sich wundert, der aber in Wirklichkeit nur Bekanntes, Selbstverständliches enthält, und erst allmählich verstand ich, daß hier das Geheimnis meines Lebens gelöst wurde, doch ich wollte nicht hören, ich konnte nichts hören, ich war gelähmt, sogar meine Augen waren gelähmt, und Tirza sagte, was ist mit Schlomo, und meine Mutter sagte, er war gestern hier, stimmt’s, Ari? Sie nannte ihn bei seinem Kosenamen.
Nein, was war damals mit Schlomo, beharrte Tirza, als ihr euch wiedergetroffen habt, und Arie sagte, wir standen dort auf der Terra Santa, und plötzlich kam ein schönes Mädchen mit einem Zopf auf uns zu und sagte, das wird für dich ärger sein als alles Übel, das über dich gekommen ist, und ich sagte, ohne zu verstehen, was los war, ganz automatisch, von deiner Jugend auf bis hierher, und erst dann verstand ich, daß das die Stimme aus dem Emek war, und Schlomo hat sich sofort in sie verliebt, ich habe es in seinen Augen gesehen, und Tirza stieß ein unangenehmes Lachen aus und sagte zu meiner Mutter, erinnerst du dich noch an den Tag, als Elik begraben wurde, euer ganzer Ort war leer, und als wir von der Beerdigung zurückkamen, fand ein Mann seine Frau mit einem anderen. Alle haben sie als Hure betrachtet, und eine Woche später ging sie ins Wasser, und meine Mutter sagte, ja, sie war eine großartige Frau, ich glaube, man war nicht deshalb so böse auf sie, weil sie ihren Mann betrogen hatte, der wirklich nur ein Maulesel war, sondern weil sie es an dem Tag tat, als Elik begraben wurde, an einem Tag, an dem der ganze Ort trauerte, daß sie ausgerechnet diese Gelegenheit ausgenützt hat, und das konnte auch sie sich nicht verzeihen.
Ich zog mir die Decke über die Ohren, die anfingen, weh zu tun, ich fühlte mich wie ein Mann, der auf keinen Fall seine Frau ertappen will, weil er sie dann verliert, und ich wollte die Fortsetzung der Geschichte nicht hören, um meine Mutter nicht zu verlieren, die mir plötzlich so liebenswert vorkam, und ich dachte daran, wie sie mir vor dem Einschlafen oft aus der Heiligen Schrift vorgelesen hatte, und mein Vater sagte dann, erkläre ihr wenigstens die schweren Wörter, sie versteht doch nichts, und sie antwortete, das muß man nicht verstehen, und ich lauschte einfach ihrer weichen, ausdrucksvoll vorlesenden Stimme, und bei schlimmen Stellen weinten wir zusammen. Ich brauchte nur zu hören, wie sie anfing zu weinen, da stimmte ich schon ein, nur um sie zu trösten, auch wenn ich nicht verstand, was eigentlich so traurig war, ich glaubte einfach, daß sie einen Grund dafür hatte, und am meisten weinten wir über David und Absalom, denn das war eine Geschichte, die nicht gut ausgehen konnte, nur wenn sie gar nicht erst angefangen hätte, wäre sie gut ausgegangen, doch nachdem sie zum Anfangen verdammt worden war, konnte niemand mehr vor dem Leid fliehen, denn der Sieger war zugleich der größte Verlierer.
Bei Davids Klagelied hatten wir immer aufs neue geschluchzt, und als dann das
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