Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Baby geboren wurde, war mir klar, daß es Absalom heißen würde, aber mein Vater war dagegen, ich weiß noch, daß sie die ganze Woche bis zur Beschneidung stritten, und als der Mohel dann fragte, wie der Kleine heißen sollte, schwieg mein Vater, und meine Mutter sagte mit einem fragenden Unterton, Avschalom, als bäte sie den Mohel um Erlaubnis, doch nie in seinem kurzen Leben schafften wir es, ihn bei seinem langen Namen zu nennen, nur an seinem Grab, und als mein Vater laut jenes furchtbare Klagelied vorlas, wußte ich, daß er sich wegen ihrer Wahl an ihr rächte, und danach habe ich ihn nie wieder den Tanach aufschlagen sehen. Manchmal bat ich ihn, mir vor dem Einschlafen etwas vorzulesen, vor allem wenn ich krank war, aber er lehnte es grob ab und sagte, ich bin doch kein Radio, und auch ihre Stimme verlor den weichen Klang und wurde heiser vor lauter Streiten und wegen der Zigaretten, und in diesem Moment, hier, hatte sie wieder die alte Weichheit, als sie sagte, kaum zu glauben, manchmal begleitet einen irgend etwas, das man ohne groß nachzudenken getan hat, durch das ganze Leben. Diese Geschichte, die ich Arie als Sechzehnjährige vorgelesen hatte, hat mich mein Leben lang verfolgt, mit meinen beiden Kindern, aber bei mir hat sie sich in zwei Teile gespalten, gegen Ja’ara habe ich gekämpft, und Avschalom habe ich verloren, und Tirza sagte, was heißt, du hast gegen sie gekämpft, sie hat gegen dich gekämpft, und meine Mutter sagte, es ist doch egal, wer angefangen hat, die Frage ist doch nur, ob man in einen Kampf gerät oder nicht, auch David hat nicht angefangen, aber er hat den Krieg auch nicht verhindert, schließlich hätte er auf alles verzichten und Absalom das Königreich kampflos überlassen können, und das hat er nicht getan. So ist es, sie seufzte, wenn man mit seinem Kind kämpft, kann man nicht als Sieger aus dem Kampf hervorgehen, auch wenn man gewinnt, hat man verloren.
Ich hörte ihr erstaunt zu, ich wußte nicht, wovon sie sprach, aber ich verstand, daß es sich um eine Art Nachruf handelte, auf mich oder auf sie oder die Beziehung zwischen uns beiden, und mehr noch als über das, was die drei da draußen sprachen, wunderte ich mich über den Tonfall ihrer Stimmen, sie unterhielten sich wie Freunde, die einander sehr nahestehen, nachdem ihn die beiden Frauen noch vorgestern, auf dem Friedhof, verleumdet hatten, und ich verstand nicht, was geschah, wie es möglich war, schließlich hatte meine Mutter immer so haßerfüllt über ihn gesprochen, fast mit Abscheu, und ich dachte darüber nach, daß sich Rätsel nie wirklich lösen, sondern nur verwickelter werden, kaum glaubt man, der Lösung nahe zu sein, wird man ausgelacht. Und trotzdem mußte ich zugeben, daß ich diesen Ton ihrer Gespräche mochte, ihre Freundschaft, ihre Offenherzigkeit, nie hatte ich sie mit meinem Vater so offenherzig reden hören, immer nur vorsichtig, damit er nicht die geringste Information oder das geringste Bedauern oder Zögern gegen sie verwenden konnte, die ganze Zeit gab es diese verdammte Rivalität zwischen ihnen, und da hörte ich Tirza fragen, also waren Schlomo und Arie Rivalen um deine Gunst? Und meine Mutter seufzte und sagte, nein, nicht wirklich, die Sache war von vornherein entschieden, und Arie sagte, es ist zu lange her, um noch herauszufinden, was wirklich passiert ist.
Was für ein Vergnügen ist es doch, alt zu werden, meine Mutter lachte, man müßte zu jedem, der leidet, sagen, daß ihn die Sache dreißig Jahre später zum Lachen bringen wird, man muß alles aus einem Abstand von dreißig Jahren betrachten, erst dann weiß man es einzuschätzen, und mir fiel auf, daß sie das fast schrie, und plötzlich kam mir der Verdacht, daß das alles vielleicht geplant war, vielleicht wußte sie, daß ich da war, und spielte mir Theater vor, nur der Zweck war mir unklar, wollte sie mir eine genaue Beschreibung der Vorfälle geben oder die Moral der Geschichte in konzentrierter Form, eine geheime Botschaft, und ich setzte mich auf und stopfte mir das Kissen hinter den Rücken, um es bequemer zu haben, und ich dachte, vielleicht wartet die Lähmung ja noch ein paar Jahre, und so betrachtete ich sie wie im Theater, einem Bett-Theater, so ein supermodernes Stück, in dem man die Schauspieler nur durch die Ritzen eines Rolladens sieht und es Aufgabe des Publikums ist, die Handlung mehr oder weniger zu erraten und Details selbst einzufügen. Mit Leichtigkeit erkannte ich das Kleid meiner Mutter, ein
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