Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
anderen Namen geheiratet hätte, wäre sie nicht auf der Terrasse vor aller Augen gestorben, noch so jung, auf einem Liegestuhl, der zum Bett geworden war. Von weitem sah es aus, als würde sie sich nur ausruhen, aber wenn wir näher kamen, ich und Orit Schejnfeld, erkannten wir an der Bewegungslosigkeit des weißen Lakens den Ernst ihres Zustands. Nichts rührte sich unter dem Laken, und auch das jemenitische Gesicht, dessen Braun sich zu einem hellen Grau verfärbt hatte, war unbeweglich, nur ein leichtes Schnarchen aus dem eingefallenen Mund deutete darauf hin, daß noch ein Rest Leben in ihr war. Wir gingen an ihr vorbei, mit unseren schweren Schulranzen, in denen die Stifte aneinanderstießen, wenn unsere jungen Rücken sich bewegten, wenn wir die Tür mit dem Fliegengitter aufmachten und ins Haus gingen, geradewegs zur Küche.
Orit mochte frisches Brot, jeden Morgen schickten sie den sechsjährigen Udi zum Lebensmittelgeschäft, um Brot zu holen, dann rannte er an seiner Mutter vorbei, die auch nachts auf der Terrasse schlief und die er noch nie herumlaufen gesehen hatte, denn gleich nach seiner Geburt war die Krankheit ausgebrochen, und auch auf dem Rückweg rannte er, und Orit schmierte dann für sich und für ihren Bruder Brote, und auch für mich, wenn ich bei ihr schlief, und sie bewegte sich mit einem leichten Hinken durch die Küche, einem anmutigen Hinken, von dem ich schon nicht mehr weiß, welche Ursache es hatte, aber sie hatte eine große Narbe am Bein. Auch mittags aßen wir immer Brot, und dann spielten wir mit dem kleinen Udi, und wenn Gideon Schejnfeld, ihr Vater, von der Arbeit nach Hause kam, setzte er sich zu uns, und wenn er sich zurücklehnte, rutschten aus seiner weißen kurzen Khakihose manchmal seine dünnen langen Eier, und dann platzten Orit und ich fast vor Lachen.
Während der sieben Trauertage war ich jeden Tag dort, bei Orit und Udi, ich betrachtete die Fotos der jungen wunderschönen Masal Schejnfeld, und ich dachte an die Eier, die zwischen Gideons Beinen hingen, als er im Haus herumlief und den Trauergästen eine Erfrischung anbot, und versuchte die Verbindung zwischen diesen beiden Eindrücken zu finden, ich stellte mir vor, wie sie seine hellen Hoden in ihre braunen Hände nahm, aber die Bewegung hatte etwas von Abwiegen, nichts von Zärtlichkeit. Was hatte sie zu ihm hingezogen? Er hatte schmale, fast grausame Lippen und dünnes Haar, und nur sein schweres Schicksal verlieh ihm eine gewisse Aura, und ich dachte, wenn ich erst ein bißchen älter bin, vielleicht fünfzehn oder sechzehn, wird er sich in mich verlieben, und ich werde ganz zu ihnen ziehen, aber dann werde ich in seinem Zimmer schlafen und nicht bei Orit, und nach ein paar Jahren werden meine Bewegungen schwer, und ich kann seine Hoden kaum mehr berühren, und dann bringt man mich auf die Terrasse, obwohl ich noch kaum zwanzig bin. Aber am Schluß wurde nichts aus der Sache, denn nach der Trauerwoche hörte ich auf, die Freundin von Orit Schejnfeld zu sein, plötzlich kam mir ihr Haus, ohne das Bett auf der Terrasse, weniger interessant vor, und Orit wurde langweilig mit ihrem frischen Brot, wie oft kann man schon Brot essen, und ich ging nicht mehr hin, ich fühlte mich sehr schlecht deswegen, und eigentlich fühlte ich mich mein ganzes Leben lang schlecht deswegen, und jedesmal wenn ich auf der Straße eine junge Frau mit einem anmutigen Hinken sah, senkte ich beschämt den Blick, obwohl man mir schon vor langer Zeit erzählt hatte, sie habe sich operieren lassen und hinke nicht mehr, und immer hatte ich gewußt, daß die Strafe noch kommen würde, wie hatte ich die Blicke ignorieren können, die sie mir zuwarfen, vor allem Udi, in den Pausen kam er immer und rieb sich an mir wie eine Katze und sagte, komm zu uns, wir spielen dann, du wärst meine Mutter und Orit der Vater, und ich erfand Ausreden, sagte, ich hätte zuviel zu tun, und streichelte noch nicht mal seine kurzen braunen Haare, aus Angst, mich anzustecken.
In der ganzen Zeit, in der die Kranke im Haus gewesen war, hatte ich mich nicht gefürchtet, erst als sie nicht mehr da war, kam die Angst, Masal Schejnfeld war zwar tot, aber die Krankheit suchte einen neuen Körper, den sie lähmen konnte, und ausgerechnet jetzt hatte sie einen gefunden, schließlich hatte ich jahrelang nicht an sie gedacht, an Orit Schejnfeld und ihre Familie, und ausgerechnet heute morgen, gefangen in diesem Trauerhaus, hatte ich Udi mit seinen braunen Augen gesehen, und
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