Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
weiter, aber warum, und wieder sagte ich, ich weiß nicht, und er lachte und sagte, es gibt viel zuviel, was du nicht weißt, und ich stimmte in sein Lachen ein, aber er unterbrach mich mit einer förmlichen Stimme, ich habe jetzt zu tun, und ich sagte, also wann hast du Zeit, und er schwieg einen Moment, als müsse er nachdenken, gut, sei in einer halben Stunde hier, sagte er und fügte ungeduldig den Namen der Straße und die Hausnummer hinzu, in dem Ton, in dem man ein Taxi bestellt.
Sofort tat es mir leid, daß ich dieses Kleid nicht gekauft hatte, denn nichts von den Sachen in meinem Schrank war so beeindruckend wie der gelbe Hosenrock der Zigarettenspitze mit dem dazu passenden honiggelben Jackett, und am Schluß begnügte ich mich mit einer engen Hose und einem schwarzen Strickhemd, steckte mir einen goldenen Reif in die Haare und betonte mit einem schwarzen Stift das Blau meiner Augen und war ziemlich zufrieden, ich sah, daß auch der Taxifahrer beeindruckt war, sofort als ich einstieg, fragte er, verheiratet? Und ich sagte, ja, natürlich, und er seufzte, als würde ihm das Herz brechen, aber er erholte sich und fragte, wie viele Jahre, und ich sagte, viele, fast fünf. Nun, dann wird es doch Zeit für etwas Neues, sagte er ermutigend, und ich sagte, wieso denn das, ich liebe meinen Mann, eine Erklärung, die hier im Taxi mit einer gewissen Nachsicht angenommen wurde, und ich fühlte mich albern, derartige Verkündigungen unter diesen Umständen, aber ich hatte diese Worte hören müssen, und er sagte flüsternd, mit Mundgeruch, man kann zwei lieben, und deutete auf sein Herz, das vor wenigen Momenten angeblich gebrochen war, und sagte, das Herz ist groß. Bei mir ist es ganz klein, sagte ich, und er lachte, das bilden Sie sich nur ein, Sie werden sich noch wundern, wie weit es sich ausdehnen kann, glauben Sie etwa, daß nur der Schwanz sich ausdehnen kann? Mich widerte dieses Gespräch an, ich sah aus dem Fenster, und neben einem kleinen gepflegten Haus an der Straßenecke hielt er an und legte zum Abschied die Hand wieder auf sein Herz.
Dichte Kletterpflanzen bedeckten das Haus wie ein Fell, und als ich näher trat, sah ich Dutzende von Bienen, die fröhlich zwischen den dichten Blättern herumsummten. Das ist das Zeichen, sagte ich zu mir, daß du von hier verschwinden solltest, denn schon immer hatte ich den Verdacht gehegt, zu den Leuten zu gehören, die an einem Bienenstich sterben können, schließlich weiß man so etwas nicht von vornherein, erst wenn es zu spät ist, und ich wollte mich schon zurückziehen, drehte dem Haus den Rücken zu, aber der Anblick der Welt, der Anblick der Welt ohne dieses Haus, war so bekannt und schal, helle Wohnhäuser mit kleinen städtischen Gärten, die viel zuviel Wasser brauchen, Bäume, von denen ich immer vergessen werde, wie sie heißen, Zimmer, die abwechselnd gesäubert und verdreckt werden, Briefkästen, die abwechselnd gefüllt und geleert werden, diese ganze Betriebsamkeit, die sich auch durch einen Bienenstich nicht aufhalten ließ, kam mir so traurig und hoffnungslos vor ohne dieses gepflegte Haus, daß ich mich wieder zu ihm umdrehte und mit mutigen Schritten das Treppenhaus betrat.
Er nahm sich Zeit, beeilte sich wirklich nicht, mich aufzunehmen, erst nachdem ich zweimal geklingelt hatte, wurde die Tür aufgemacht, und er führte mich schweigend in ein großes Wohnzimmer, sehr gepflegt, die Wände mit Bildern bedeckt und auf dem Boden Teppiche, so daß es mir bald vorkam, als sei der Boden ein Spiegelbild der Wände oder umgekehrt. Er trug seine neue braune Hose und das neue Hemd, doch ausgerechnet die neue Kleidung betonte sein Alter, er wirkte plötzlich alt, älter als mein Vater, mit diesen scharfen Falten auf den Wangen und der Stirn, Falten, die aussahen wie Narben, und den Haaren, die eigentlich eher weiß waren als silbergrau und eher dünn als dicht, und mit schwarzen Ringen unter den Augen. Interessant, daß die Leute in ihrer eigenen Umgebung so aussehen, wie sie sind, und nur anderswo in einem besonderen Licht erscheinen, dachte ich erleichtert, ich saß auf dem hellen Sofa, plötzlich ganz ruhig angesichts des Alters, das ihn mit spitzen Nägeln zerkratzt hatte, als würde er ohnehin gleich hier, vor meinen Augen, an einem Herzschlag sterben und aufhören, mich durcheinanderzubringen. Schamlos starrte ich auf die linke Tasche seines Hemdes, unter der sein müdes Herz mit letzter Kraft schlug. Alle möglichen inneren Organe tauchten vor
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