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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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daß in diesem Zimmer nicht genug Raum für uns beide war, und ich mußte fortgehen, bevor die nächsten Kondolenzbesucher kamen und ich bis spätabends hier festsaß, und trotzdem durfte ich ihm nichts schuldig bleiben und schrie ihn an, du Lügner, du dreckiger Lügner, und unter Lachen hörte ich ihn sagen, ich weiß nicht, was du überhaupt hier tust, wenn ich so furchtbar bin, warum brauchst du mich dann, und ich schrie, ich brauche dich nicht, ich wünschte, ich hätte dich nie getroffen, und er sagte, dann hör auf, mich weiter zu treffen, niemand braucht dich hier.
    Und warum hast du dann angerufen, daß ich kommen soll, schrie ich, mein ganzes Leben hast du mit diesem Anruf kaputtgemacht, und er sagte, ich soll angerufen haben? Du hast mich angerufen und gefragt, ob du kommen kannst, glaubst du etwa, ich hätte dich angerufen, noch dazu an dem Tag, an dem meine Frau beerdigt worden ist? Und ich fiel über ihn her, vor Wut wußte ich nicht, was ich tat, ich fiel über seine Lippen her, die diese fürchterlichen verlogenen Worte gesagt hatten, ich versuchte sie herauszureißen, sie ihm aus dem Gesicht zu reißen, und er warf mich auf das Bett und ließ mich nicht aufstehen und wiederholte wieder und wieder die Worte, die ich nicht ertragen konnte, ich soll angerufen haben? Nie im Leben habe ich dich angerufen, ich kenne deine Telefonnummer gar nicht, nie im Leben habe ich dich angerufen, und dann klingelte es an der Tür, und die zweite Hälfte des dritten Tages der sieben Trauertage für Joséphine Even begann.

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    Hätte mich jemand gefragt, was leichter wäre, sich zu prügeln oder Liebe zu machen, hätte ich selbstverständlich das zweite gesagt, aber als ich nun in seinem Bett lag und vor Haß keuchte, spürte ich, um wieviel körperlicher doch der Haß war als die Liebe, weniger kompliziert, weniger ausweglos. All meine Kräfte sammelten sich dem Haß zuliebe, als ich mich mit seiner Daunendecke zudeckte, wütend die weichen Kissen zerquetschte, als wären es seine Lippen, die diese Worte ausgespuckt hatten, und ich kniff die Augen zu, bis mich alles anekelte, was ich sah, jedes Möbelstück, jede Zimmerecke, sogar die weißen Wände, das Bild, das an der Wand hing, ein riesiges Bild von einem schwarzen Kran, der eine Mauer bedrohte, und der Schrank, der offen geblieben war, und die Rolläden, die sich nicht rührten und seit zwei Tagen den ganzen Ekel aufsaugten, denn sie hatten die Worte gehört, jeder, der die Worte gehört hatte, der sein verrücktes Lächeln gesehen hatte, das die Worte einfaßte wie ein Bilderrahmen, ein so breites Lächeln, daß es die Lippen aufriß, bis zwei Tropfen Blut in den Mundwinkeln aufblitzten, jeder, der Zeuge gewesen war, Mensch oder Gegenstand, war für immer unrein. Ich versuchte, mich in Bewegung zu bringen. Daß du keinen Ort hast, wohin du gehen kannst, bedeutet noch lange nicht, daß du hierbleiben mußt, und daß du einen Fehler gemacht hast, bedeutet nicht, daß du ihn in alle Ewigkeit ausdehnen mußt, doch diese Erkenntnis erschreckte mich so sehr, daß ich mich nicht bewegen konnte, die endgültige Erkenntnis, das sichere Wissen, ich, Ja’ara Korman, geboren dann und dann, in dem und dem Ort, mit der und der Augenfarbe und all den anderen Details, die nicht mehr veränderbar waren, mit denen ich einfach leben mußte, hatte etwas getan, was zu dieser Herde von Tatsachen eine neue hinzufügte, die anderen mußten zusammenrücken, um ihr Platz zu machen, sich mit ihr anfreunden, und diese neue Tatsache war, daß ich in dem und dem Monat in dem und dem Jahr einen Fehler gemacht hatte, einen schweren Fehler, der mein ganzes Leben veränderte, der die Vergangenheit zu einer verwunschenen Zeit gemacht hatte und die Gegenwart zu einem Alptraum und die Zukunft zu einem wilden Tier, und jetzt mußte ich lernen, damit zu leben, wie man lernt, mit einer Behinderung zu leben, aber es war nicht einfach eine Behinderung, die ich mir selbst zugefügt hatte, so wie jemand, der sich eine Kugel ins Bein schießt und lernen muß, sowohl mit sich selbst als auch mit dem verletzten Bein weiterzuleben, sondern ich war wie jemand, der ins Auto steigt und sich selbst überfährt, ich war sowohl die Fahrerin als auch die unter den Rädern, die Schuldige und die Anklägerin, und ich dachte an Joni, den ich für immer verloren hatte, und an seine Liebe, die von mir weggezogen war, plötzlich, wie wenn man eine Decke von einem Tisch zieht, daß der Tisch nackt und armselig aussieht,

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