Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
würde, denn vor lauter Eile hatte er vergessen, die Tür abzuschließen, vielleicht hatte er es auch absichtlich getan, ich konnte also versuchen, mich durch den Flur davonzuschleichen, vorbei am Wohnzimmer, oder sogar kurz hineingehen und ihm ernst die Hand drücken, als wäre ich aus der Gästetoilette gekommen, aber was sollte ich mit meinem riesigen Koffer machen, das durfte doch nicht sein, daß ausgerechnet er mich am Schluß hier festhielt, ein Koffer. Ich beschloß, den Rolladen des Balkons, den ich erst heute entdeckt hatte, ein wenig hochzuziehen, ganz vorsichtig, und da sah ich, daß der Schlüssel zur Balkontür am Griff hing, fröhlich schaukelnd hatte er schon ein paar Tage lang auf mich gewartet, und ich schloß die Tür auf, schob den Koffer mit kleinen Tritten hinaus auf den Balkon und ließ den Rolladen wieder herunter, und dann, bevor ich es mir anders überlegen konnte, betrat ich den Flur.
Aus dem Wohnzimmer drang rhythmisches Gemurmel, eine Art ruhiger, zurückhaltender Singsang vieler Stimmen zusammen, du, der allerhöchste Gott, sangen sie, der in Güte und Milde waltet, und Herr und Meister ist von Allem; der den Vätern ihre Frömmigkeit gedenket und ihren Kindeskindern sendet den Erlöser um seines Namens willen, und ich schlich mich vorsichtig weiter, bis ich die Toilette erreicht hatte, und schlüpfte schnell hinein und setzte mich auf den heruntergeklappten Klodeckel. Wie eine Insel mitten im gefährlichen Meer kam mir dieser kleine enge Raum vor, und ich sah mich um und stellte fest, wie sehr hier die Hand einer Frau fehlte, um was kümmerte sich der Hausherr, wenn ihm nicht auffiel, daß kein Toilettenpapier da war, und aus der Kloschüssel kam ein Gestank wie bei einer öffentlichen Toilette. Ich hörte Schritte näher kommen und streckte schnell den Fuß aus, um die Tür zuzuhalten, falls jemand sie öffnen wollte, denn es gab keinen Schlüssel, aber sogar mein relativ langes Bein reichte nicht bis zur Tür, und obwohl die Schritte sich wieder entfernten, probierte ich es weiter, streckte meine Beine und überlegte, was wohl Leute taten, die mittendrin erwischt wurden, mit heruntergelassener Hose, sie hatten zwei Möglichkeiten, entweder machten sie einen Satz zur Tür und tropften auf ihre Kleidung, oder sie preßten ihren Hintern auf den Klodeckel und riskierten eine nicht gerade angenehme Entdeckung, und ich wunderte mich über die Gastgeber, die ihren Gästen ein so schweres Dilemma zumuteten, vor allem über Joséphine wunderte ich mich, von ihr hätte ich erwartet, daß ihr das Wohl ihrer Gäste am Herzen gelegen hatte, und ich dachte, vielleicht ist sie deshalb krank geworden und gestorben, denn wegen weniger wurde der Tempel zerstört.
Und dann fiel mir mein kostbares Buch ein, das der Gnade eines jeden Menschen ausgesetzt war, der an dem verlassenen Koffer vorbeiging, ich drückte die Wasserspülung und verließ die Toilette, setzte das Gesicht einer besonders traurigen Kondolenzbesucherin auf und ging zum Eingang, blieb einen Moment in der Wohnzimmertür stehen, um ihn dort sitzen zu sehen, umgeben von Männern, die sich im Gebet bewegten, und jemand kam aus der Küche, wo ein paar Frauen um den runden Tisch saßen, und eine der Frauen machte mir ein Zeichen zu warten und sagte, gleich sind sie mit dem Beten fertig, du kannst hier warten, also betrat ich die Küche und setzte mich auf den einzigen Stuhl, der noch frei war. Willst du etwas trinken, fragte die Frau, und ich sagte glücklich, Kaffee, und plötzlich war es so leicht, Kaffee zu bekommen, außerhalb jenes Zimmers, und sie goß mir schnell eine große Tasse voll und schob mir Zucker und Milch zu, und dabei lächelte sie mich an und sagte, ich bin Ajala, Aries Schwester.
Eure Eltern hatten eine Vorliebe für Tiere*, sagte ich und erschrak sofort, vielleicht hatte ich sie gekränkt, doch sie lachte warm, ja, das stimmt, ich habe immer zu ihnen gesagt, schade, daß ihr euch nicht so um eure Kinder kümmert, wie ihr es mit jeder streunenden Katze tut. Ich lächelte sie dankbar an, und sie fragte, Kuchen? Und ohne zu warten, schob sie mir ein Stück hellen duftenden Käsekuchen auf einem verzierten Teller zu und bot in fließendem Französisch auch der Mutter der Verstorbenen etwas an, und sie bewegte sich anmutig und geschmeidig in der engen Küche. Sie war klein und dick, mit großen, weichen Brüsten, die sich unter ihrem engen Pulli wölbten, und aus ihrem braunen Gesicht leuchteten blaue Augen. Sie sah ihm
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