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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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überhaupt nicht ähnlich, nur vielleicht die vollen Lippen, aber seine waren grau und ihre rot, und als sie lächelte, es sah wirklich so aus, als sei sie die ganze Zeit kurz vor oder nach einem Lächeln, zogen sich Falten von den strahlenden Augen zu den Lippen, aber sie waren so anmutig wie Grübchen. Ich fand sie so großartig, daß ich nur ganz ruhig meinen Kaffee trank und sie betrachtete, überrascht und erstaunt, wie angenehm es in der Küche war, wie heiter und gelassen sie sich um alle kümmerte, woher war sie plötzlich aufgetaucht, diese wunderbare Frau, wieso hatte ich nichts von ihrer Existenz gewußt, als ob ich mich, hätte ich von ihr gewußt, anders verhalten und meine Weltsicht sich geändert hätte.
    Vor lauter Betrachten merkte ich erst gar nicht, daß sie mit mir sprach, du bist die Tochter von Korman, fragte sie, und ich war fasziniert von ihren Lippen und antwortete nicht, was sie offenbar als Zustimmung interpretierte, denn sie sagte, du siehst deiner Mutter sehr ähnlich, wirklich erstaunlich, ich weiß noch, wie sie ausgesehen hat, als sie ungefähr so alt war wie du, unglaublich, wie sehr ihr euch gleicht, nur der Zopf fehlt dir noch, und ich lächelte schief und sagte, ja, die Frage ist nur, ob das so empfehlenswert wäre, von allen Menschen ausgerechnet meiner Mutter so ähnlich zu sehen, und ich konnte mich nicht beherrschen und fügte hinzu, ich würde lieber dir ähnlich sehen.
    Sie blickte mich mitleidig an und sagte, das hängt nur von dir ab, ich bin mir auch erst nach vielen Wandlungen ähnlich geworden, und ich dachte, wenn mir heute noch ein Mensch sagt, es hänge nur von mir ab, fange ich an zu schreien, aber von ihr war ich bereit, alles zu akzeptieren, so weich und voller Anteilnahme sprach sie, und ich hätte sie gerne gefragt, wo sie diese Tage gewesen war, warum sie mich nicht in meinem Gefängnis auf der anderen Seite der Wand besucht hatte, aber plötzlich fiel ein Schatten in die Küche, sie füllte sich mit Männern. Ich erkannte den französischen Schwager und Schaul, der mir einen distanzierten Blick zuwarf, er hatte wohl Angst, daß meine Anwesenheit sein Geheimnis verraten würde, jedenfalls verließ er sofort die Küche, die anderen Männer kannte ich nicht, und Arie kam als letzter herein, ich sah, wie seine Schwester ihn prüfend betrachtete und sagte, Ari, die Tochter von Korman ist hier, und er blickte mich schnell an, ich hätte eigentlich erwartet, er würde zornig reagieren, weil ich die Grenze überschritten hatte, aber er sah amüsiert aus und sagte spöttisch, mit absichtlicher Übertreibung, so, so, die Tochter von Korman, was für eine Überraschung, und lächelte, ich liebe Überraschungen, und seine Schwester umarmte ihn, und ich sah, wie ähnlich sie sich doch waren, sie sah aus wie seine helle Seite, aber neben ihr sah auch er hell aus, gelassen und ruhig, und er sagte, du bist nicht in Istanbul? Ich habe gehört, du wärst in Istanbul, und ich spürte, wie ich rot wurde, und sagte, wir sind schon zurück, absichtlich benutzte ich den Plural, als wäre ich noch Teil eines Paares.
    Wie war’s, fragte er, und ich sagte, enttäuschend, Istanbul ist enttäuschend, ich hatte mir viel mehr erhofft, und er sagte, man muß seine Erwartungen immer herunterschrauben, und Ajala sagte, das stimmt, das Bild, das du im Kopf hast, ist immer vollkommener als das, was du mit deinen Augen siehst, das trifft für alles zu, und ich sagte, dann wäre es vielleicht besser, es sollte im Kopf bleiben und man sollte sich nichts wirklich anschauen und keine Menschen treffen. Aber dann wird man nie erwachsen, sagte er, denn der Unterschied zwischen dem, was du mit deinen geistigen Augen siehst, und dem, was du mit deinen körperlichen Augen siehst, das ist Erwachsenwerden.
    Warum muß man überhaupt erwachsen werden, sagte ich und merkte, daß Ajala uns neugierig beobachtete, ihre feinen Nasenflügel zitterten wie bei einem Tier, das etwas Verdächtiges bemerkte, und er sagte müde, weil das Leben so ist, Kormans Tochter, auf das Erwachsenwerden verzichten heißt auf das Leben verzichten, und sie fing an zu klatschen und lachte, und ich weiß nicht, warum, aber mir kam es plötzlich vor, als sei ich in einem Theater, und da kam Schaul wieder in die Küche, leicht gebückt, und zog etwas hinter sich her, und zu meinem Schrecken erkannte ich meinen Koffer, und er schrie, schaut mal, was ich auf dem Balkon gefunden habe, wie kannst du nur einen vollen Koffer auf dem Balkon

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