Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
beschädigt und voller Flecken.
Ich sah sein Gesicht vor mir, sah, wie sich zu den weichen Zügen eine gewisse Härte gesellte, die erstaunlich gut zu ihnen paßte, als wäre sie immer da gewesen und hätte nur auf den passenden Moment gewartet, herauszukommen, und seine weiche Stimme hatte einen nachdrücklichen Klang bekommen, und er erklärte mir höflich, in ihm sei etwas zerbrochen und wir könnten nie mehr in unser voriges Leben zurückkehren, denn diese Flitterwochen in Istanbul seien für ihn ein Schlußstrich unter unsere Ehe gewesen, und dann sagte er, weißt du eigentlich, daß die Türken einmal fast die ganze Welt beherrscht haben? Und ich sagte, vielleicht probieren wir es noch einmal, trennen können wir uns immer noch, und er fuhr fort, Reste dieser Pracht sind jetzt ihr ganzer Stolz, mehr ist ihnen nicht geblieben, und ich flehte, bitte, Joni, ich mache alles wieder gut, aber er sagte nur, ihre Herrschaft war grausam, und jetzt gibt es dort, in Istanbul, nur noch Grausamkeit ohne Herrschaft, und damit war unser Gespräch zu Ende, und ich packte meinen schimmeligen Stolz zusammen, meine Kleider und meine Bücher, und er packte seine Sachen, denn keiner wollte in der Wohnung bleiben, und auf der einen Hälfte der Kartons stand sein Name und auf der anderen meiner, und an der Tür drückte er mir die Hand, wie beim Abschluß eines Geschäfts, ein fester, ernsthafter Händedruck, und in seinen Augen war ein Leuchten des Glücks, nicht provozierend, nicht aggressiv, sondern das bescheidene, nachdenkliche Glück eines Menschen, der früher als erwartet seine Freiheit bekommen hat, und danach sah ich ihn nicht mehr.
Nichts würde von den Jahren unseres gemeinsamen Lebens zurückbleiben, nicht einmal ein Kind, das zwischen uns hin und her gerissen wird, kein Besitz, um den man streiten könnte, sondern wirklich nichts, jeder würde mit fast ebenso leeren Händen gehen, wie er gekommen ist, und vielleicht würden wir uns einmal zufällig auf der Straße treffen und uns in ein kleines Café setzen, und erst dann würde er es wagen mir zu erzählen, wie schlimm es eigentlich war, morgens aufzustehen, aufgeregt wegen der Reise, sich blitzschnell zu überlegen, was man noch alles zu erledigen hatte, diese Kleinigkeiten, die immer bis zum letzten Moment liegenbleiben, und erst dann das leere Bett zu bemerken, das leere Badezimmer, die leere Küche, und trotzdem den Koffer zu nehmen und wegzufahren, denn so ist Joni, er ändert nicht gerne seine Pläne, er bleibt nicht im Bett und weint, er weint im Flugzeug, er weint im Hotel, er weint, wenn er sich bewegt, nicht wie ich, ich weine bewegungslos, und wer weint, wenn er sich bewegt, rettet sich am Schluß, und wer weint, ohne sich zu bewegen, bleibt verloren, so wie ich, und ich hatte solche Angst vor der Zukunft, die mir noch unausweichlicher zu sein schien als die Vergangenheit, und ich wußte, daß ich es nicht aushalten würde, ich mußte sie aufhalten, ich mußte einen Weg finden, den riesigen Stein abzufangen, der auf mich zurollte. Als erstes mußte ich aufstehen, selbst auf der Toilette zu sitzen war besser, als im Bett zu liegen, und am besten war es, am Fenster zu stehen, und ich schaffte es wirklich, zum Fenster zu gelangen und es aufzumachen, die Luft traf mich, eine scharfe, nach Frühling riechende Luft, und die Zitrusbäume im Garten blühten und schickten mir einen Gruß aus den Plantagen, die unsere Siedlung umgeben und in mir zum ersten Mal den Gedanken an Liebe erweckt hatten, ein Gedanke, der immer viel großartiger ist als die Liebe selbst, damals lief ich unter den Bäumen herum und war glücklich nur mit diesem Gedanken, ich stieg auf den kleinen Hügel und schaute hinunter, und die ganze Welt war ein einziger riesiger Orangenhain ohne Ende, und ich stellte mir vor, wie ich den Mann, den ich lieben würde, hierherführen und ihm dieses Wunder zeigen würde, und das wäre dann die Antwort auf die große Frage, die nicht gestellt wurde und nie gestellt werden würde.
Vielleicht bringe ich Joni dorthin, dachte ich, ich werde ihn am Flughafen erwarten und sofort mit ihm dort hinfahren, von den Moscheen Istanbuls direkt zu den Orangenplantagen im Scharon, und dort, auf dem kleinen Hügel, werde ich es schaffen, sein Herz wieder zu mir zu wenden, und dann ging ich zu meinem Koffer und wühlte und prüfte nach, ob alles drin war, und ich sah mich um und begann meine Flucht zu planen, die, wie sich herausstellte, verhältnismäßig einfach sein
Weitere Kostenlose Bücher