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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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lassen, Arie, und Arie warf einen gleichgültigen Blick auf den Koffer und sagte, er gehört mir nicht, ich habe keine Ahnung, wie er auf meinen Balkon kommt, und Schaul wich sofort mißtrauisch zurück, und mit ihm wichen alle zurück, und ich wurde ebenfalls zur Seite geschoben und sah, wie alle den Koffer argwöhnisch betrachteten, als enthalte er eine Bombe, die jeden Augenblick losgehen könnte. Man muß die Polizei rufen, sagte Schaul, und jemand erklärte auf französisch der alten Mutter, um was es ging, und sie stieß einen leisen Schrei aus und schlug sich sofort die Hand vor den Mund, und so standen wir um den Koffer, wie wir vor drei Tagen um Joséphines frisch ausgehobenes Grab gestanden hatten, und ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, und wußte nicht, wie ich aus der Situation herauskommen sollte, und während der ganzen Zeit spürte ich seine amüsierten Blicke auf meinem Gesicht, als wolle er sagen, du hast mir eine Überraschung bereitet, und ich revanchiere mich mit einer eigenen Überraschung, und dann spürte ich, daß mich noch jemand anschaute, es waren ihre strahlenden Augen, und ihr Blick wanderte von mir zu ihm, und sie legte die Hand auf Schauls Arm, der schon auf dem Weg zum Telefon war, und rief mit gespielter Aufregung, ach, ich habe es ganz vergessen, das ist mein Koffer, und dann trat sie in den Kreis, nahm den Koffer und stellte ihn an die Wand, und Arie sagte, ich weiß nicht, warum, aber ich habe plötzlich das Gefühl, als wäre ich im Theater, und er klatschte auf seine vornehme, überhebliche Art, und der Kreis löste sich langsam auf, der größte Teil des Publikums wanderte zum Wohnzimmer, und in der Küche blieben nur er und ich und sie und die blaue Frau, die herzzerreißend zurechtgemacht aussah, und obwohl sich das ordinär anhört, zu ihr paßte es.
    Wieder tat es mir leid, daß ich kein Französisch konnte, ich hätte sie gerne einige Dinge gefragt, zum Beispiel ob es sie tröstete, schon am Ende ihres Lebens angelangt zu sein, schließlich war es viel schwerer, einen solchen Schlag einzustecken, wenn man noch mittendrin war und wußte, daß man das Leid noch eine ziemlich lange Zeit ertragen mußte, mich zum Beispiel bedrückte der Gedanke an all die Jahre, die noch vor mir lagen, wie Ungeheuer warteten sie auf mich, eines häßlicher als das andere, und ich war dazu bestimmt, auf einem nach dem anderen zu reiten, auf Wegen, die sie bestimmten, begeistert zu traben und Lebensfreude zu zeigen, die haarigen Hälse zu umarmen, vor denen ich mich ekelte, mit geschlossenen Augen alles zu sehen.
    Ich schloß die Augen, das Gesicht noch glühend vor Scham, und spürte eine kühle Hand auf meinem Arm, und sie sagte, Kormans Tochter, geh nach Hause und komm nicht hierher zurück, hörst du, auch wenn er dich ruft, komm nicht zurück, und ich machte die Augen auf und sagte traurig, er wird mich nicht rufen, denn als ich ihn zwischen den anderen gesehen hatte, hatte ich wieder seine bedrückende und deprimierende Anziehungskraft gespürt, und sie nahm meinen Koffer und verließ mit ihm die Wohnung, und ich folgte ihr, und an der Tür sagte ich zu ihr, Ajala, das Leben ekelt mich, und sie flüsterte, das darf man nicht sagen, wer so etwas sagt, verabscheut das Leben, und sie umarmte mich mütterlich. Hast du Kinder, fragte ich, und sie sagte, ich habe Kinder, aber meine Kinder haben keine Mutter, und das klang seltsam, denn sie sah wie eine glückliche Frau aus, eine, der alles gelingt, und ich verstand nicht, was für ein Mißgeschick sich hinter ihren Worten verbarg, aber sie hatte offenbar nicht vor, es mir zu erklären, aufrecht und anmutig drehte sie mir den Rücken zu und betrat wieder die Wohnung.
    Es war die schrecklichste Stunde des Tages, die Stunde, in der das Licht gefährlicher ist als die Dunkelheit, weil es kostbarer wird, einzigartiger, und zu dieser Stunde hatte ich immer Angst, draußen herumzulaufen. Als ich klein war, hatte ich mich immer fest an die Hand meiner Mutter geklammert, hatte nicht geglaubt, daß wir es schaffen würden, nach Hause zu kommen, und auch wenn wir ankamen, wußte ich nicht, ob es wirklich unser Haus war oder vielleicht eine raffinierte Falle, die genauso aussah wie unser Haus. Ich untersuchte dann mein Zimmer, schaute unter das Bett und in den Schrank, und wenn sie versuchte, mich zu beruhigen, prüfte ich auch sie, denn vielleicht war ja auch sie eine raffinierte Falle, die aussah wie meine Mutter, und nun, als ich aus dem

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