Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
daß ich nicht an einen anderen gedacht habe, und ihr Weinen wurde stärker, und aus der Wohnung drang nun auch, wie ein Echo, das Weinen des Kindes, und ich sagte, mach dir keine Sorgen, wir holen ihn dort heraus, und ihr kommt mit mir, meine Wohnung ist gerade leer, ihr könnt ein paar Tage dort bleiben, bis sich alles geregelt hat, aber ich hatte keine Ahnung, wie man den Kleinen dort herausholte, und ich sagte zu ihr, und jetzt sei ganz ruhig und versteck dich in der Nähe, damit er denkt, du wärst schon fort, und ich werde versuchen, etwas zu unternehmen.
    Als sie verschwunden war, sie versteckte sich wirklich so gründlich, daß es mir vorkam, als wäre sie tatsächlich weggegangen, klingelte ich an der Tür und sah jemanden durch das Guckloch schauen und drückte noch einmal fest auf die Klingel, und er öffnete die Tür einen Spaltbreit und fragte, was ich wolle. Ich lächelte die Tür herzlich an, man hatte mir immer gesagt, mein Lächeln sei vertrauenerweckend, und sagte, ich komme aus der Wohnung gegenüber, Sie wissen, daß man bei uns Schiwa sitzt, und er sagte, ja, ich habe die Ankündigung gesehen, und er machte die Tür auf, ein kleiner Mann mit einem angespannten Gesicht, das mir bekannt vorkam, und deutete auf die Ankündigung, die an der Tür befestigt war, und ich betrachtete sie erstaunt, denn sie war nicht da gewesen, als ich vorgestern nacht hier angekommen war, und plötzlich hing sie vor mir wie der Beweis, daß alles wirklich passiert war.
    Uns fehlt für das Abendgebet ein zehnter Mann, sagte ich mit ernster Stimme, die Trauernden bitten Sie, sich ihnen anzuschließen, und er deutete auf das Zimmer hinter sich, in dem es wieder still war, und sagte, das Baby ist gerade eingeschlafen, und ich sagte, ich bleibe ein paar Minuten bei ihm, wie lange wird es schon dauern, und er betrachtete mich zweifelnd und sagte, ich weiß nicht, wo meine Kipa ist, und ich hatte nicht übel Lust zu sagen, vielleicht hängt sie am Baum, doch ich lächelte und sagte, machen Sie sich keine Sorgen, man wird Ihnen eine geben, es gibt genug Kipot, und schließlich seufzte er und sagte, gut, an mir soll es nicht liegen, und verließ die Wohnung, die Tür blieb offen, und ich ging zum Zimmer des Kleinen, und sobald die Wohnungstür der Familie Even hinter ihm ins Schloß gefallen war, nahm ich den Kleinen auf den Arm und lief, die Tür offen lassend, hinaus, und sie kam aus dem Garten, nahm mir den Kleinen ab, und wir rannten gemeinsam weiter, sie mit dem Baby und ich mit dem Koffer, bis wir die Hauptstraße erreicht hatten.
    Dort gab es ein volles Café, in das ich sie schob, der Ort schien mir sehr geeignet, um sich zu verstecken, außerdem wollte ich meine Rückkehr nach Hause ein wenig hinausschieben, denn ich hatte plötzlich Angst, daß sie, wenn sie sich erst bei mir niedergelassen hatte, nie mehr weggehen würde, und schwer atmend saßen wir zwischen ganzen Haufen von Genießern, alle sahen glücklich und sorglos aus, nur mein Leben und ihres waren auseinandergefallen, aber auch sie hatte vor ein paar Tagen noch einen sorglosen Eindruck auf mich gemacht, wie die Königin des Viertels hatte sie ausgesehen, in einer Hand den Schlüssel, auf dem anderen Arm das Kind, und jetzt war alles anders.
    Sie wickelte den Kleinen aus der Decke, und ich betrachtete ihn gespannt, diesmal sah er ganz anders aus, als wäre er ein anderes Kind, seine Augen waren heller, fast blau, seine Haare blond und nicht braun wie Jonis, nein, er sah Joni überhaupt nicht ähnlich, aber er hatte auch nichts von seinem Vater, und einen Moment lang konnte ich den besorgten Mann, der mir die Tür geöffnet hatte, verstehen, denn wem sollte man trauen, und wenn man erst einmal anfing, mißtrauisch zu werden, konnte man schwer damit aufhören, das bewies ja schon meine eigene Verwunderung. Man sagte zwar, daß Babys sich verändern, aber eine solche Veränderung in so kurzer Zeit war kaum zu glauben, vielleicht handelte sie überhaupt mit Babys und hatte mich reingelegt, und ich würde wegen Beteiligung am Kinderhandel ins Gefängnis kommen, wer weiß, was mit dem vorigen Baby, dem mit diesem süßen Schafsgesicht, geschehen war, wie glücklich wäre ich, wenn ich jetzt so eines als Andenken an Joni hätte.
    Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich dir bin, sagte sie, und ich lächelte bitter, weil ich nicht wußte, was ich antworten sollte, und dann stand eine Kellnerin vor uns, in einem superkurzen Mini und langen Beinen, und ich

Weitere Kostenlose Bücher