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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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verließ ich die Hauptstraße und betrat die kleine Seitenstraße, ich hatte Angst, auf bekannte Gesichter zu treffen und die üblichen Fragen zu hören, und die verhaßte Gasse sah auf einmal ganz anders aus, länger und dunkler zwischen den umliegenden ruhigen Straßen, die sich schaukelnd auf und ab bewegten, und die ganze Zeit versuchte ich mich zu trösten, daß es das letzte Mal sei, ich würde diese Straße nicht mehr sehen, die mich aufregte mit ihrem Wohlstand, ich würde keinen Grund mehr haben, hier entlangzugehen, sie würde mich nicht mehr zu ihm hin- oder von ihm wegführen, und selbst wenn sie vom Erdboden verschwände, würde ich den Verlust nicht bemerken.
    Dieser ganze Stadtteil war auf einmal überflüssig und sogar feindlich geworden, diese prachtvollen reichen Häuser mit den gepflegten Gärten und den großen Fenstern zur Straße hin, als gäbe es nichts zu verbergen und jeder könne sehen, was sich in den Zimmern befand, und ich blieb vor einem dieser Fenster stehen und sah ein Regal voller Bücher, sogar ihr Geruch drang durch das Fenster, der Geruch nach jahrealtem Staub und vergilbtem Papier, vermutlich war es gerade die Jahreszeit, in der die Bücher blühten, zusammen mit den Zitrusbäumen, und vielleicht waren ihre Blüten weniger auffallend, dafür aber beruhigender, und ich atmete den bekannten Geruch ein, es war der gleiche Duft, der von dem Buch aufstieg, das mir der Dekan gegeben hatte, und plötzlich war ich sicher, daß dieses Haus voller Bücher das Haus des Dekans war, hier spielte sich sein ruhiges Leben ab, hier spazierte er von Buch zu Buch, und mich packte die Lust, durch das große Fenster einzusteigen und mich zwischen die Regale zu setzen, einen Stapel Bücher auf den Tisch zu legen und darauf meinen müden, kranken Kopf, und da ging das Licht in dem großen Fenster aus, als sei die Vorstellung zu Ende und der Vorhang gefallen und es gelte aufzustehen und nach Hause zu gehen, und ich ging langsam weiter, versuchte den Zauber festzuhalten, wie früher, wenn ich in unserer Siedlung einen Film gesehen hatte, einmal in der Woche wurde ein Film vorgeführt, und je länger ich an die Filme dachte, um so deutlicher erinnerte ich mich daran, wie ich danach immer mit einem Schwindelgefühl nach Hause gelaufen war, wie meine Füße gegen Steine stießen, ohne daß ich einen Schmerz spürte, denn das süße Gefühl des Films hielt an, begleitete mich wie eine königliche Schleppe, warf weiche Farben auf den Weg, jeder Film war ein Blick in die Zukunft, ich brauchte nur zu wählen, brauchte nur durch das breite Tor zu gehen, doch jetzt war es vor mir verschlossen, bestenfalls war ein schmaler Spalt geblieben, durch den kein Licht drang, nur ein Duft, der immer schwächer wurde, und wenn ich mich nicht beeilte, würde sich auch dieser Spalt schließen, so wie diese Straßen immer enger und enger wurden, die Fenster kleiner und kleiner, und da war der Hang, der mir so vertraut war, aber auf einmal sah alles fremd aus, als wäre ich aus dem Ausland zurückgekommen und meine Augen wären an andere Ausmaße gewöhnt, alles war kleiner, schmutziger, und ich stolperte den Hang hinunter zu unserer Wohnung, im Erdgeschoß des Gebäudes, und meine Beine zitterten vor Anspannung, denn was würde ich tun, wenn er da wäre, und was würde ich tun, wenn er nicht da wäre?
    Die Wohnung war verschlossen und dunkel, und die alte Tür öffnete sich gehorsam, und einen Moment lang erinnerte ich mich nicht, wo man das Licht anmachte, und stand im Dunkeln, lauschte auf die Geräusche des Hauses, und von den versehentlich gelb gestrichenen Wänden ging eine dumpfe Traurigkeit aus, ich fuhr wie eine Blinde mit der Hand über die Wände, als wären die Unebenheiten Schriftzeichen und ich könnte lesen, was die Wände gesehen hatten, und so alles erfahren, was Joni an jenem Morgen getan hatte, ob er laut meinen Namen gerufen hatte, ob er mich erst in der Küche oder im Badezimmer gesucht und auf welcher Fliese er gestanden hatte, als er meinen Zettel sah, und was er getan hatte, nachdem er ihn gelesen hatte. Meine Hand fand den Lichtschalter, und ich drückte darauf und sah direkt vor mir einen weißen Zettel, ich griff nach ihm und las ihn, ich wünschte, ich könnte mit dir in die Flitterwochen fahren, stand da, und ich wich vor diesem Zettel zurück, der nun natürlich als Nachricht von ihm an mich gemeint war, er hatte ihn nicht zufällig hiergelassen, er hatte ihn nicht mitgenommen und nicht in den

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