Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
mir reden, und er wäre meine Familie, und seine Schwester würde mich adoptieren, und ich würde alles hinter mir lassen, Joni und die kleine Wohnung, noch nicht einmal meine Kleider würde ich holen, sondern mir alles neu kaufen, um nicht durcheinanderzugeraten, und vielleicht würden wir überhaupt in Istanbul wohnen, um auf der Straße keine bekannten Gesichter zu treffen, ich sah ja, wie schwer es war, ihn in mein Leben einzubauen, es würde viel leichter sein, ihm zuliebe ein neues Leben zu beginnen, statt zu versuchen, ihn in das bestehende zu integrieren.
Und dann taten mir meine Eltern leid, vor allem meine Mutter, die uns beide verlieren würde, mich und ihn, und Joni, der allein mit einem schiefen Schrank voller Kleider zurückbleiben würde, was wird er mit ihnen machen, und ich fing an, mich von ihm zurückzuziehen, ich sah alle seine Fehler, seine dünnen Haare, seine tiefen Falten, seine gelben Zähne, sein nahendes Alter, sein kürzer werdendes Leben, und dahinter seine schwankende Persönlichkeit, seine Aggressivität, und ich dachte, was habe ich überhaupt mit ihm zu tun, ich will nach Hause, zu meinem kleinen Leben, und vielleicht war es daher doch besser, das zu tun, was er wollte, denn wie konnte man sich auf mich verlassen, und dann dachte ich, aber wie kann man sich auf ihn verlassen, in diesem Moment lächelt er mich an, im nächsten die Kellnerin, und mir fiel auf, daß ihre Haare in einem modernen Rundschnitt geschnitten waren, und plötzlich war ich sicher, daß sie die berühmte Zigarettenspitze war, seine wirkliche Geliebte, die damals mit ihm in jenem Laden gewesen war. Vielleicht hatte er mich absichtlich hierhergebracht, um sie zu provozieren, oder um sie zu sehen, vielleicht ist das ein perverses Spiel zwischen ihnen, und mir blieb das ganze Essen in der Kehle stecken, und ich fragte ihn mit zitternder Stimme, warum sind wir ausgerechnet hierhergekommen, und er sagte, du hast doch chinesisch essen wollen, und ich beruhigte mich ein bißchen, es stimmte, ich hatte das entschieden, aber vielleicht war ich dazu gebracht worden, ich erinnerte mich schon nicht mehr.
Er studierte wieder die Speisekarte und schlug mir eine gebackene Banane mit Eis vor, aber ich konnte nicht länger hierbleiben, das Mißtrauen würgte mich, und ich sagte, ich fühle mich nicht wohl, komm, laß uns gehen, und ich stand schnell auf, fiel fast die Treppe hinunter, warum war ich mit ihm in dieses verfluchte Lokal gegangen, ich hätte ihn mit nach Hause nehmen müssen, zu meinem ersten Zuhause, um ihm die Welt der endlosen Orangenplantagen zu zeigen, und mittendrin die Ruine, und dort hätten wir besprochen, warum er sich jetzt noch so lange oben im Lokal aufhielt und warum sein Gesicht so hart war, als er endlich kam, ich wollte dich verwöhnen, sagte er wütend, aber du kannst das offensichtlich nicht ertragen.
Ich war sicher, daß du dich in die Kellnerin verliebt hast, jammerte ich, und er sagte, genau das habe ich gemeint, du kannst es nicht aushalten, wenn man dich verwöhnt, du kannst nicht glücklich sein, sofort versuchst du, dich selbst zu bestrafen, und Strafen findet man immer, nur schade, daß du immer alles auf die anderen schieben mußt. Dann schwöre, daß du nichts mit der Kellnerin hast, sagte ich mit Nachdruck, und er kochte vor Wut, die Tatsachen sind ohne Bedeutung, nichts, was ich sage, wird dich beruhigen, das weißt du. Ich weinte, nein, das stimmt nicht, alles, was du sagst, wird mich beruhigen, ich konnte nicht aufhören zu weinen, und er, statt es zu versuchen, pfiff auf dem ganzen Weg gekränkt vor sich hin, ignorierte mich, und vor seinem Haus sagte er, ich wollte dich bei dir zu Hause absetzen, aber du bist jetzt nicht in der Lage, allein zu sein, er sprach gönnerhaft, als würde er mir eine große Gnade erweisen, und ich sagte, du bist zu nichts verpflichtet, nur wenn du willst, und wieder stieg das vertraute Gefühl der Abhängigkeit in mir auf. Es war erst ein paar Stunden her, daß ich dieses Haus verlassen hatte, und wieder saß ich in seiner Falle, wieder war ich von seiner Gnade abhängig, wieder dankbar, voller Liebe, armselig, und ich verstand nicht, wie es hatte geschehen können, denn schließlich war er es, der zu mir gekommen war, er hatte mich gerufen.
Als wir das Haus betraten, wußte ich, daß ich nie wieder hinauskommen würde, ich würde ihn nie bekommen und mich nie von ihm befreien, vor ein paar Stunden war ich fast wie durch ein Wunder entkommen, und Wunder
Weitere Kostenlose Bücher