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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und er trat den Rückzug an und sagte nachdenklich, ich weiß nicht, man kann mit jeder Schwierigkeit leben, solange es Hoffnung gibt, und ich sagte, Hoffnung auf was, und er sagte, in meinem Alter betrachtet man die Dinge nicht mehr ständig durch ein Vergrößerungsglas, man weiß, daß sie sich ändern, die Umstände ändern sich, die Kinder sind irgendwann erwachsen und werden zu ihr zurückkommen, alles ist noch offen, und ich, um mich dem Schicksal zu entziehen, das mir drohte wie ein Sturm, der immer näher kam, sagte, und was ist, wenn mein Mann doch zu mir paßt.
    Wenn er zu dir passen würde, wärst du jetzt nicht hier, er grinste, und ich dachte, das stimmt, ich bin wie die Frau in der Geschichte, nur meine Handlungen können etwas über mich aussagen, denn alles andere ist unklar und verschwommen, und trotzdem versuchte ich es weiter, vielleicht paßt er zu mir, und ich habe es nicht gewußt, und er entblößte seinen abgebrochenen Zahn und sagte, vielleicht. Ich möchte so sehr, daß er zu mir paßt, sagte ich, und er unterbrach mich kühl, ich verstehe, und wies mich darauf hin, daß ich bei der Demonstration meiner Gefühle übertrieben hatte, und sofort wollte ich diesen Eindruck verwischen und legte meine Hand auf seine, warum konnten wir nie über uns selbst reden, zum Beispiel fragen, was mit uns sein würde, immer sprach er über mein Leben, als habe es nichts mit seinem zu tun, und er sagte, hab keine Angst, und wirklich hatte ich erst einmal keine Angst, ich entspannte mich, trank einen Schluck Wein und versuchte, nicht daran zu denken, was sein würde, und statt dessen die Gerichte zu genießen, die er für mich bestellt hatte, Reis mit allen möglichen Nüssen und knusprige süße Nudeln, und ich dachte, was für ein Glück, daß ich noch etwas schmecke, das ist das wichtigste im Leben, schmecken zu können.
    Er rührte das Essen kaum an, er trank nur und rauchte, erzählte eine verwirrende Geschichte über alle möglichen rituellen Feste der Pariser Boheme, an denen er vor vielen Jahren teilgenommen hatte, auch dort fiel ich auf, sagte er, aber hier im Land aufzufallen ist ein Fluch, und dort ist es ein Segen, innerhalb kürzester Zeit war ich mittendrin, und ich hatte das Gefühl, daß er das nicht mir erzählte, sondern meiner hochmütigen Mutter, die ihn nicht gewollt hatte, und seine Worte begannen eines am anderen zu kleben, vermutlich hatte er schon zu Hause etwas getrunken, und jetzt bestellte er noch eine Flasche, und die Kellnerin brachte den Wein und machte ihm schöne Augen, sie waren teuer, ihre Augen, und sehr schön, und ich fragte mich, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen mir und ihr gab, aus seiner Sicht, bei ihm war immer alles unpersönlich, nichts berührte ihn wirklich. Einen Moment lang hatte ich gedacht, er habe mir seinetwegen den Hinweis gegeben, Joni zu verlassen, aber dann war er sofort wieder auf Distanz gegangen, und nun streckte er die Hand aus und streichelte meine Haare, vor den Augen der Kellnerin, und ich warf ihr einen siegessicheren Blick zu, er will mich, und dann sah ich, daß auch er ihr einen Blick zuwarf, keinen siegessicheren, eher einen herausfordernden, und das Essen blieb mir im Hals stecken, und ich begann zu husten, genau wie Joséphine am letzten Tag ihres Lebens gehustet und den Tee, den ich ihr gemacht hatte, auf das Krankenhauslaken verschüttet hatte. Die Kellnerin rannte los und brachte mir ein Glas Wasser, ohne daß ich darum gebeten hatte, und ich trank verzweifelt, er wollte mich nicht, aber mir kam es vor, als hätte ich vor lauter Versuchen, herauszufinden, ob er mich wollte, ganz vergessen zu prüfen, ob ich ihn wollte, das war schon zu einer Art Axiom geworden, zu etwas Selbstverständlichem, das nicht mehr bewiesen werden mußte, aber vielleicht war es an der Zeit, es trotzdem zu probieren, aber wie tat man das, es stellte sich heraus, daß es leichter war, seinen Nächsten kritisch zu betrachten.
    Vermutlich war der Nächste eine geschlossene Einheit, wenn man ihn betrachtete, und man selbst war für sich offen, aber eigentlich war es doch umgekehrt, denn in diesem Moment war ich voller Liebe zu ihm, voll wie der Teller, der vor ihm stand, und ich dachte, daß wir bald miteinander schlafen würden, und wie wir am Morgen aufwachen würden, und alles begeisterte mich, und nach der Schiwa würden wir zusammen nach Istanbul fahren, und ich würde ein neues Leben anfangen, und meine Mutter und mein Vater würden nicht mehr mit

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