Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Erlösung, kam mir jetzt so hoffnungslos vor wie alles, was vorher geschehen war, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Um das Lachen zu verbergen, senkte ich wieder den Kopf, um ihn glauben zu machen, es handle sich um einen neuen Tränenausbruch, und das klappte offenbar auch, denn er drückte mir ein Papiertaschentuch in die Hand, und ich trocknete damit meine Tränen, und mein Kopf tat weh, als ich ihn nun zu den blauen Augen des Dekans hob, und ich sagte fast flehend, Sie werden es nicht glauben, Professor Ross, was mich schon seit ein paar Tagen bedrückt, es ist das Schicksal jenes Zimmermanns, dem die Frau durch Betrug geraubt wurde, und am Schluß mußte er auch noch sie und ihren neuen Ehemann bedienen, und die Tränen seines Kummers flossen in ihre Gläser. Schon seit einigen Tagen, wie soll ich es sagen, habe ich an seinem Schmerz teilgenommen, habe den Gehilfen verflucht, der ihm die Frau stahl, und die Frau selbst, die ihm dabei geholfen hat, aber heute morgen, auf dem Weg zu Ihnen, habe ich etwas verstanden.
Was haben Sie verstanden? Er betrachtete mich zweifelnd, auf seinen vollen Lippen lag noch jenes Schnauben, bereit, wieder hervorzuspringen, und ich versuchte es mit einer Frage zurückzuhalten, worüber hat er, Ihrer Meinung nach, geweint, über was genau hat er geweint, als er die beiden bediente?
Der Dekan richtete sich auf, was soll das heißen, das ist doch selbstverständlich, er weinte über sich selbst und über seine Frau, die nun einem anderen gehörte, über das schreckliche Unrecht, das man ihm angetan hatte! Und ich betrachtete seine vollen Lippen, die sich trafen und wieder trennten, voller Sicherheit, und sagte, ja, das habe ich bis heute morgen auch geglaubt, aber jetzt weiß ich, daß er nicht über das Unrecht weinte, das ihm geschehen war, sondern über das Unrecht, das er seiner Frau angetan hatte, denn er ist der Böse in dieser Geschichte, böser sogar als sein Gehilfe und bestimmt böser als seine Frau.
Und worauf gründet sich Ihre Behauptung, fragte er kühl, fast verächtlich, und ich fürchtete, daß sich gerade sein letztes bißchen Glauben an mich in Luft auflöste, jetzt würde auch er gegen mich sein, aber ich durfte nicht aufgeben, ich zog das Buch aus der Tasche und schlug es auf, meine Behauptung gründet sich auf das, was hier geschrieben steht, sagte ich, warum hatte er sie zu dem Gehilfen geschickt, um das Darlehen zu holen? Er brachte sie ausdrücklich in Gefahr, nur um das Geld zu bekommen, und wie kam es, daß er sich drei volle Tage lang nicht die Mühe machte, sie zu suchen, drei Abende ging er ohne sie schlafen und stand ohne sie auf, erst am dritten Tag ging er zu dem Gehilfen, um zu fragen, was mit ihr geschehen sei, und als er hörte, daß die Knaben unterwegs ihren Mutwillen mit ihr getrieben hatten, stimmte er, statt sie mit nach Hause zu nehmen, sich um sie zu kümmern und sie zu trösten, sofort zu, sie zu verstoßen, als der Gehilfe sich bereit erklärte, ihm das Geld für die Erfüllung des Scheidebriefs zu geben. Warum fragte er nicht nach, warum forderte er nichts, warum wollte er nicht mit ihr sprechen, schließlich hatte er sie selbst in dieses Abenteuer geschickt. Sehen Sie das nicht? Eine ganze Kette von Sünden und Versäumnissen verbergen sich dahinter, genau vor unseren Augen, eine ganze Kette von Sünden, deretwegen das Urteil unterschrieben wurde!
Der Dekan blickte mich verwirrt an und blinzelte, einen Moment lang dachte ich, er zwinkere mir zu, bis er mit ernster Stimme sagte, aber auch seine Frau kommt mir nicht wie die große Gerechte vor, Ja’ara, ich habe diese Geschichte zwar nie wirklich analysiert, aber ich habe den Eindruck, daß sie die Komplizin des Gehilfen war.
Wie kommen Sie denn darauf, fuhr ich ihn an, man kann sie schließlich nicht aufgrund ihrer Gefühle oder ihrer Worte beurteilen, denn diese werden nicht erwähnt, aber auch aufgrund ihrer Handlungen geht das nicht, denn sie war vollkommen passiv. Sie wurde, als sie mit dem Gehilfen beim Mahl saß, von ihrem Mann bedient, man kann unmöglich wissen, ob sie die drei Tage freiwillig dort verbracht hatte oder ob sie gefangengehalten wurde, vielleicht hatte er ja selbst seinen Mutwillen mit ihr getrieben, so wie er es von den Knaben behauptet hatte, und dann trennte sich ihr Mann von ihr, und der Gehilfe heiratete sie, war es da ein Wunder, daß sie ihn heiratete, nachdem sie auf so beschämende Weise im Stich gelassen worden war, sehen Sie nicht, daß diese
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