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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und er sagte mit autoritärer Stimme, ja, das ist der Moment, in dem wir geboren werden, vermutlich haben Sie das zu spät verstanden, und ich lachte, oder ich bin jetzt erst geboren worden, ich bin einfach mit Verspätung geboren worden, und mit gesenkten Augen wollte ich mich schon der Tür zuwenden, als mir plötzlich etwas einfiel, und ich sagte zu ihm, wissen Sie, es hat mir mal jemand gesagt, daß jeder, der einen Fehler macht, von vornherein weiß, daß er ihn machen wird, er kann sich einfach nicht beherrschen. Die Überraschung liegt vielleicht in der Größe des Fehlers, aber nicht in der Tatsache seines Auftretens. Und der Dekan lächelte und sagte, wie zu sich selbst, wer sich nicht irren will, wird nicht irren, und ich sah seine großen Füße in den abgetragenen Sandalen, in Strümpfen, mit der Seelenruhe eines Menschen ausgestreckt, in dessen Leben alles geordnet ist, und ich konnte mich nicht beherrschen und trat, wie aus Versehen, auf sie, und er zog sie sofort unter den Tisch zurück, und ich sagte, Verzeihung, ich habe nicht aufgepaßt, und ich schämte mich so sehr, daß ich zu ihm trat und ihn umarmte und fragte, tut es weh? Und er sagte, nein, ist schon gut, und ich fühlte, wie seine Brille vor Überraschung zitterte.
    Die Tür zum Zimmer der Assistenten stand offen, niemand war da, ich ging schnell hinein und machte die Tür zu. Ein schmaler langer Schrank zog sich die ganze Wand entlang, und daneben befand sich ein kleines Fenster, das den Blick auf ein beeindruckendes Panorama freigab, ein schmales Seitenfenster, der ganze Tempelberg mit der von düsteren Bäumen umgebenen goldenen Kuppel, die versunkene Stadt Davids, und drum herum schmale Straßen, auf der Autos langsam entlangzufahren schienen wie bei einer Beerdigung, und die neue Stadt verschluckte das Gold mit langen scharfen Goldzähnen, Türme und Hochhäuser, und dazwischen sahen rote verblichene Dächer hervor wie Anemonen auf einer Wiese am letzten Tag des Frühlings, und ich öffnete das Fenster und streckte den Kopf hinaus, um diesem strahlenden Bild näher zu sein und die weiche Frühlingsluft einzuatmen, eine duftende Luft mit einem leichten Geruch nach Rauch, und ich sah die Flammen, die sich an diesen Berg drängten, die langsam und hartnäckig näher krochen und den Tempel umzüngelten, der hinten schmal und vorn breit war, einem Löwen ähnlich, und Tränen des Zimmermanns flossen in die leeren Gläser, als der große Hunger begann, und dann auf seine Hände, die vor Kummer abfielen, und als sie sich später gegenüberstanden, zwei leblose Gerippe, und das große Feuer ihre Knochen beleuchtete, senkten sie vor Schwäche die Köpfe, wie zwei Alpenveilchen, und er bat sie um Verzeihung, und sie sagte, ich habe verziehen, aber der Himmel nicht.
    Hinter mir ging die Tür auf, ich drehte mich um und sah Neta, die, eine Tasse Kaffee in der Hand, mit ihren federnden Schritten den Raum betrat, ihre schwarzen Locken bewegten sich wie vielbeinige Insekten auf ihrem Kopf, und in der anderen Hand hielt sie einen Stapel Papiere, und sie sagte, was für ein seltener Besuch, spöttisch und ohne Freude, schon seit zwei Monaten mache ich deine Arbeit, und ich sagte, du hast es doch nicht für mich getan, du willst beweisen, daß man auch ohne mich auskommen kann, und Neta lächelte vergnügt und sagte, ja, und es ist sogar leichter, als ich gedacht hatte, und ich lachte, denn ich mochte ihre gerade Art, und sagte, ich bedrohe dich nicht, du wirst erreichen, was du erreichen willst, mach dir keine Sorgen, du würdest dich wegen der Liebe nie in Schwierigkeiten bringen.
    Liebe? Sie erschrak, Gott behüte, das da ist meine Liebe, und sie deutete auf den Stapel Papiere, teilte ihn in zwei Häufchen und sagte, ich bin bereit, meine Liebe mit dir zu teilen, komm, sehen wir die Arbeiten gemeinsam durch, wie zu Jahresbeginn, und ich dachte daran, wie wir in diesem Raum gesessen hatten, neben dem schmalen Fenster, und mit Bleistift Anmerkungen an die Texte der Studienanfänger geschrieben hatten, und abends war Joni oft gekommen, hatte sich auf den Tisch gesetzt und ein paar Blätter unter sich zerknittert, und ich hatte meine Sachen zusammengesucht und war mit ihm weggegangen, damals hatte ich eine Aura um mich, die mich beschützte, die Aura der häuslichen Sicherheit, und nun hatte ich sie nicht mehr, und Neta sah mich prüfend an und sagte, du hast dich verändert, und ich fragte, wie, und sie sagte, das weiß ich nicht, und schob mir den einen

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