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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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sage ich auch, Papa, mir ist klargeworden, daß mir in dieser Phase meines Lebens und unter den gegebenen Umständen dein Tod viel mehr nützen würde als eine Fortsetzung deines Lebens, sieh doch ein, daß es Schlimmeres gibt, ich habe Freundinnen, die selbst durch den Tod ihrer Eltern nicht gerettet werden können, stell dir vor, wie verloren die sind.
    Er war ungefähr sechzig, mein Vater, und ich hatte keine Ahnung, wieviel ihm sein Leben wert war, wie sehr er daran hing, falls er es überhaupt tat. Er sprach viel von der Vergangenheit, das stimmte, eigentlich ohne Ende, sagte aber wenig über seine Beziehung zur Zukunft. Er hatte keine besonderen Pläne für die Zukunft, soweit ich wußte, und selbst wenn er welche hatte, Pläne sind dazu da, nicht in Erfüllung zu gehen.
    Was nachts richtig erschien, wurde am Tag widerlegt und vielleicht auch umgekehrt. Ich sah sein zartes, besorgtes Gesicht, und schon war ich bereit, mich mit ihm auf eine schwere und selbstverständlich tödliche Krankheit zu einigen, die seinen Freund zu einem baldigen Besuch zwang. Ich würde in der Rolle der besorgten Tochter, auf deren Schultern sich die ganze Familie stützte, richtig herzergreifend aussehen, und wenn er kam, natürlich würde er am Schluß kommen, würde ich zu ihm sagen, mein Vater hat nach dir gefragt, mein Vater wollte dich sehen, und er wird erschrecken und fragen, bin ich zu spät gekommen, und ich werde ihn beruhigen, nein, noch nicht.
    Was ist eigentlich mit deinem Freund, diesem Arie Even? fragte ich meinen Vater, und er sagte, alles in Ordnung, es geht ihm gut, ich habe gestern mit ihm gesprochen. Vielleicht ladet ihr ihn und seine Frau mal zum Abendessen ein, schlug ich vor, und sofort hörte ich meine Mutter aus der Küche schreien, das hätte mir noch gefehlt, diesen alten Angeber einzuladen.
    Wie redest du über meinen besten Freund, er fing schon an zu kochen.
    Wenn er so ein guter Freund von dir ist, wo war er dann die ganzen Jahre? Warum hat er die Beziehung nicht aufrechterhalten? Sie kam mit einem Satz aus der Küche und baute sich vor ihm auf.
    Du mit deinen kleinlichen Rechnungen, sagte er, ich führe keine Rechnung mit meinen Freunden.
    Weil du naiv bist, um nicht zu sagen, ein Idiot.
    Sie merkten noch nicht mal, daß ich wegging, sie versanken in ihrem Ritual. Und ich fing an zu laufen, lernte den Weg auswendig, wie viele Schritte waren es von meiner Wohnung zu seiner, wie viele Ampeln, wie viele Lebensmittelgeschäfte, wie viele Gemüseläden, wie viele Apotheken, wie viele Zebrastreifen, und im Kopf erstellte ich eine Karte, zeichnete den Alltag der Stadt in sie ein, und trotzdem eine andere, völlig neue Welt. Nie hatte ich Lebensmittelgeschäfte so gesehen, so bedeutungsvoll und mit einer solchen Intensität, geheimnisvoll und glühend, die weißgemalten Zebrastreifen, die Ampeln mit dem grünen Feuer, und meine Schritte, ich hatte nie gewußt, was es heißt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, wie ein wildes Tier, und ich staunte, es war wie ein Wunder, ich hatte das Gefühl, eine Statue zu sein, die sich bewegte.
    Erst an seiner Tür blieb ich stehen, vor dem hellen, weißlichen Schild, das sich daran befand, ungefähr in der Höhe der Stelle, an der sich auf der anderen Seite meine Stirn befunden hatte, mir kam es vor, als hätte ich damals den Druck der Schrauben gespürt, und ich stellte mir vor, wie das Holz meine Seufzer aufgesogen hatte, so daß sie jetzt ein Teil davon waren, und vielleicht hörte seine Frau, wie sie aus dem Holz stiegen, und ich fühlte, wie sie sie in den Ohren kitzelten, und ich wußte noch nicht mal, ob ich sie beneidete oder bemitleidete. Sie ließ sich so leicht betrügen, das stimmte, aber ebenso leicht schaffte sie es, ihn zu sehen, überall in der Wohnung, sie mußte nicht beschämt vor der Tür stehen und sich Ausreden ausdenken.
    Aber auch ich brauchte keine Ausrede, denn sein Gesicht war freundlich, fast als freue er sich, mich zu sehen, und er sagte, ich schulde dir eine Tasse Kaffee, stimmt’s? Und ich nickte begeistert, als biete er mir mindestens Nektar an. Ich bleibe ungern etwas schuldig, sagte er und ging sofort in die Küche, und ich folgte ihm in die großartige, blendendhelle Küche, wie bekam dieser Raum von dieser ärmlichen Wintersonne so viel Licht, und seine Bewegungen waren fröhlich, und ich fragte mich erstaunt, wenn er so froh ist, mich zu sehen, warum hat er dann nicht meine Nähe gesucht, warum hat er gesagt, lassen wir es so, als

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