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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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fernes, längst vergangenes Leben, als ich mir selbst noch neu war, was meine Lieblingsfarben sind, was ich gerne esse und trinke, welche Gewürze ich verwende, welche Jahreszeit mir die liebste ist, unter was ich mehr leide, unter Hitze oder unter Kälte, und sie hört so aufmerksam zu, daß es, obwohl sie sich keine Notizen macht, scheint, als würde sie meine Antworten bis zum Ende ihrer Tage nie mehr vergessen, und dann fragt sie plötzlich, und was tust du am liebsten? Ich betrachte sie einen Moment lang, als wären mir diese Worte unverständlich.
    Sie schaut mich mit erwartungsvollen Augen an, mit schwarzen, samtigen Augen, die von dichten Wimpern umrahmt sind, und ich lache verwirrt, was ich am liebsten tue, ich bin so sehr daran gewöhnt, zu überlegen, was ich tun muß, daß ich ganz vergessen habe, was ich gern tue, und ich zucke mit den Schultern, ich bin gerne mit ihnen zusammen, ich mache mit dem Kinn eine Bewegung zu den geschlossenen Türen hinüber, hinter denen Udi und Noga schlafen, aber Sohara gibt sich mit dieser scheinheiligen Antwort nicht zufrieden, konzentriere dich, sagt sie, es ist sehr wichtig, was tust du gerne, nur für dich, ohne Beziehung zu deiner Familie, ohne Beziehung zu irgend jemandem, und ihre Frage weckt eine traurige Erregung in mir, wie bei einem längst verwaisten Kind, dem plötzlich einfällt, daß es tatsächlich einmal Eltern gehabt hat. Was hast du gern getan, als du ein Kind warst, fragt sie, um mir zu helfen, und ich gebe mir Mühe, mich zu erinnern, ich blättere in dem vergilbten Album, das ich in mir trage, Udi ist so früh in mein Leben eingebrochen, mit seinen Wünschen, die immer stärker waren als meine, mit seinen Vorlieben und seinen Abneigungen, daß ich fast vergessen habe, was es vor ihm gab, und plötzlich trifft mich die Erinnerung wie der erste Windhauch, der den Chamsin bricht, und zögernd, fast beschämt, sage ich, als ich ein Kind war, habe ich am liebsten auf der Wiese gelegen und zu den Wolken hinaufgeschaut.
    Sie wird ganz weich bei meiner Antwort, sie betrachtet mich erstaunt, als wäre ich eine Reinkarnation von Buddha, schön, sagt sie, und das hat dich beruhigt? Ja, ich glaube schon, antworte ich. Und wann hast du das zum letzten Mal gemacht, fragt sie, und ich lächle entschuldigend, vor vielen Jahren, noch bevor meine Eltern sich scheiden ließen, danach hat es schon nicht mehr zu mir gepaßt, und sie nickt teilnahmsvoll, und plötzlich habe ich Lust, meinen Kopf in ihren Schoß zu legen und zu weinen, bis zum Abend nur zu weinen, denn mir ist klar, daß sie mich versteht, sogar Annat hat mich nie so tief verstanden, und einen Moment lang möchte ich ihre Tochter sein und im nächsten ihre Mutter, Hauptsache, sie verschwindet nie, nie aus meinem Leben, als wäre der Fluch der Einsamkeit, der dieses Haus getroffen hat, plötzlich ihretwegen aufgehoben.
    Und wenn du die Wolken betrachtet hast, fährt sie fort, hast du da manchmal an den Himmel gedacht? Ich bin erstaunt, was heißt das, an den Himmel, und sie sagt, hast du dir überlegt, ob der Himmel die Wolken liebt, und ich stottere, keine Ahnung, daran habe ich nie gedacht. Was macht der Himmel, wenn die Wolken eine nach der anderen über ihn hinwegziehen, fragt sie, manche verschwinden, ohne ein Zeichen zu hinterlassen, andere ändern ihre Form, und ich antworte, was kann der Himmel schon machen, er kann doch nur zuschauen, und sie nickt erfreut, stimmt, und hast du nie daran gedacht, was du vom Himmel lernen kannst? Ich spüre schon, wie Spott in mir aufsteigt, ich höre, wie sie ruhig, aber mit bedeutungsvoller Stimme, als handle es sich um eine wichtige Nachricht, verkündet, so müssen wir leben, Na’ama, wir sind der Himmel und betrachten die vorbeiziehenden Wolken, ohne zu versuchen, sie festzuhalten, ohne sie zu stoppen. Na ja, der Himmel kann sie nicht aufhalten, auch wenn er das wollte, protestiere ich, und sie sagt, das stimmt, genau wie wir unsere Partner oder unsere Freunde nicht zurückhalten können, noch nicht einmal unsere Kinder. Ihr dunkler Blick streift ihre schlafende kleine Tochter, die Möbel im Wohnzimmer, den Fußboden, die Staubflocken, die ihn bedecken, wir müssen frei sein wie ein Quecksilberkügelchen, das auf den Boden fällt und sich nie im Leben mit dem Staub mischt, hast du einmal Quecksilber über den Fußboden rollen sehen, fragt sie, und ich antworte flüsternd, ja, das habe ich, ich wünschte, es wäre nie passiert.
    Was wird, wenn du losläßt, fragt

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