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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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dreißig Trauertage. Und Sie haben schon wieder angefangen zu arbeiten, sage ich mit einer versteckten Kritik in der Stimme, und sie sagt, nein, nicht wirklich, die meisten Anfragen verschiebe ich, aber als Sie angerufen haben, konnte ich nicht ablehnen, und ich sage verwirrt, Sie behandeln also jetzt nur ihn? Ja, antwortet sie, nur ihn. Seltsam bedrückt bringe ich sie zur Tür, aber es berührt sie nicht, vom Treppenhaus aus schickt sie mir ein Lächeln voller guter Absichten zu und sagt, es ist wichtig, in der Nacht vor der Untersuchung gut zu schlafen, leichte Nahrung zu sich zu nehmen und sich alle Aufregung vom Leib zu halten, versuchen Sie wenigstens diese Nacht, sich zu entspannen, bemühen Sie sich nicht so sehr, das festzuhalten, was nicht zum Festhalten bestimmt ist.
    Ich laufe zu seinem Zimmer, versuche, den Auftrag auszuführen, mich zu entspannen, und es scheint, daß auch er einen Auftrag bekommen hat, denn auch er sieht ruhiger aus, und ich frage, wie fühlst du dich, und er sagt einfach, es ist mir leichter. Was hat sie mit dir getan, erkundige ich mich, und er sagt, das weiß ich nicht genau, sie hat an meinem ganzen Körper den Puls gefühlt, sie hat meine Zunge untersucht, sie hat mir an alle möglichen Stellen magnetische Nadeln gesteckt, er fährt sich mit der Hand über den Kopf, und dieses Räucherstäbchen, das war beruhigend, und ich denke an all meine Versuche, ihm zu helfen, diese erschreckenden, beschämenden Versuche, die alle umsonst waren, und da kommt dieses Mädchen und steckt ein seltsames Feuer an, und schon ist er ruhig. Gereizt frage ich, und was war noch, hat sie mit dir über deine eigentliche Natur gesprochen? Nein, sagt er, sie hat mir vor allem Fragen gestellt, sie hat nicht viel geredet, und ich sehe, daß er keine Lust hat, viel zu erklären, ich setze mich ruhig auf den Bettrand, besetze den Platz, auf dem sie gesessen hat, und ich habe das Gefühl, als hätte sich etwas im Zimmer verändert, ein seltsamer Geruch geht von den Wänden aus und verwischt den Gestank der Vernachlässigung, sogar sein trockener Körper verströmt auf einmal einen angenehmen Duft, als hätte er sich ganz und gar in ein friedlich glühendes Räucherstäbchen verwandelt.
    Weck mich bei Sonnenaufgang, bitte ich ihn am Abend, aber zur Sicherheit stelle ich noch den Wecker, mit welchem Stolz sie ihr uhrloses Handgelenk gezeigt hat, als wäre ich die Primitive und nicht sie, ich klappe das Sofa im Wohnzimmer auf, schon wieder wird ein Nachtfalter an der Insektenlampe geröstet, ein grausamer Altar, der jeden Abend seine Opfer fordert, und die Falterleiche gesellt sich zu der Reihe der alten Insektenleichen, füllt das Zimmer mit dem Gestank verbrannten Fleischs. Kein Lufthauch kommt, um diesen Geruch wegzuwehen, er bleibt über mir hängen, als ich einschlafe, er umhüllt mich wie eine Decke aus schlechten Gedanken, und noch während ich mich unter ihr winde, klingelt der Wecker, fünf Uhr morgens, ich stöhne haßerfüllt, stehe aber sofort auf, wie eine gehorsame Schülerin. In der Wohnung herrscht noch vollkommene Dunkelheit, aber auf dem Balkon empfängt mich ein feuchtes Blau mit einem kühlen Streicheln, und ich setze mich mit dem Kaffee auf einen der Stühle, wer hätte geglaubt, daß ein Chamsintag so wunderbar anfängt, wie ein Kind, das als Schönheit auf die Welt kommt und innerhalb weniger Stunden häßlich wird. Die dunklen Bäume bewegen sich im Wind, jeder Baum auf seine Art, so wie Menschen sich verschieden bewegen, die Zypressen bewegen sich mit düsterer Schwere, die Pappeln tanzen wie aufgeregte junge Mädchen, noch vor dem Aufgang der Sonne verschwindet die Dunkelheit, sie lugt nur noch aus den Häusern, aus den dunklen Fenstern, dort bedeckt noch schwerer Schlaf die Augen wie ein dunkles Pflaster. Ich wende den Blick zum Osten, ein paar vereinzelte Zweige schweben wie versunkene Arme im blassen Meer der Luft, auf den Dächern ragen die Kreuze von Antennen in die Luft, beherrschen das Königreich des schlafenden Betons, und zwischen ihnen steht der Mond, ein weißlicher Ballon, der noch immer an seinem geliehenen Licht festhält, aber die Sterne, die ihn begleiten, verschwimmen immer mehr, verschwinden wie Zitronenbonbons, die zu Ende gelutscht sind, und nur ein letztes Funkeln bleibt zurück.
    Eigentlich ist es schon ganz hell, aber die Sonne habe ich noch nicht gesehen, alle scheinen auf sie zu warten wie auf eine Mutter, ohne die man, trotz ihrer Bosheit, nicht leben kann, die

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