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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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aber Soharas Finger folgen der Angst, ich erstarre, spüre ihre Finger, die Wirbel um Wirbel meinen Rücken hinaufwandern. Vergiß nicht, flüstert sie mir zu, ohne Schuldgefühle, ohne Zorn, ohne negative Gefühle, nur unendlich gelassen, wie der Himmel, und ich kann mich schon nicht mehr beherrschen, ich drehe mich zu ihr um und umarme sie, ich drücke mich an sie mit all der Last, die meinen Körper beschwert, mit allen Gerüchen der Nacht, die noch nicht verflogen sind, ich empfinde keine Scham, ich möchte mich nur an ihre dünne, barmherzige Gestalt schmiegen, und sie nimmt mich in die Arme, sie ist fest in der Erde verankert wie ein Baumstamm, dunkel und stark, ich bin nicht mehr allein, sie wird mir helfen, sie wird auf mich aufpassen, ihre Hände streicheln meine Haare, sie ist aus dem Sonnenaufgang gekommen, um mich zu retten, sie strahlt in meinem dunklen Leben, alles war verzerrt, jetzt wird alles gut werden. Ich schmiege mich an sie und sage leise, bitte, Sohara, sag, daß es noch nicht zu spät ist, und sie antwortet, es ist nie zu spät, es gibt immer Hoffnung, auch einen Tag vor dem Tod ist es nicht zu spät, und ich bin bereit, mich sogar davon trösten zu lassen. Schritte sind zu hören, grobe Schuhe drängen sich in mein Blickfeld, Noga umfaßt unsere Hüften, ihre Hände sind warm und klebrig, und Sohara hört nicht auf zu murmeln, ohne Zorn, ohne Schuldgefühle, es ist nie zu spät, immer gibt es Hoffnung, und ich umarme Noga wie damals im Kindergarten, wenn die Eltern aufgefordert wurden, zu ihren Kindern in den Kreis zu kommen, Udi ist immer sitzen geblieben, aber ich bin jedesmal sofort aufgesprungen, um seine Gleichgültigkeit wiedergutzumachen, und zugleich spürte ich seine Augen in meinem Rücken, dieser kindische Eifer war ihm unangenehm, im Wald, im Wald, im Wald werden wir tanzen. Ich drehe mein Gesicht und da steht er, er lehnt an der Wand, blaß und ausgedörrt, wir haben nicht gehört, daß er aus dem Zimmer gekommen ist, er betrachtet unseren engen Kreis, der sich sofort auflöst, und alle drei schauen wir ihn an, verlegen, es paßt zu ihm, uns so zu beobachten, nicht an der Harmonie teilzunehmen, sondern sie sofort zu zerstören, ohne Zorn, ohne Schuldgefühl, flüstere ich und beeile mich, Cornflakes in eine Schüssel zu schütten, komm essen, Nogi, aber sie sagt, ich habe keinen Hunger, schmiegt sich mit einer übertriebenen Bewegung an ihn und wirft ihn fast um dabei, Papa, die Ärztin hat gesagt, du wirst wieder gesund, und er streicht ihr mit schwacher Hand über die Haare und sagt, das freut mich.
    Ich laufe ins Schlafzimmer und ziehe mich an, ich nehme das Kleid mit dem albernen Blumenmuster, meine schönen Kleider, die engen, sind alle so tief in den Schrank geschoben, daß man sich schon sehr anstrengen müßte, um sie herauszuzerren, und schon bin ich fertig und ziehe Noga aus der Wohnung, los, ich bring dich zur Schule, damit du nicht zu spät kommst, an der Tür werfe ich Sohara und Udi noch einen Blick zu, sie beugt sich über das noch immer schlafende Baby, ihre Haare ergießen sich in den Korb wie schwarze Wellen, ihr Kleid wickelt sich um ihren Körper, er weicht meinem Blick aus und senkt die Augen, und ich sage, danke, Sohara, auf Wiedersehen, es fällt mir schwer, mit Worten die Liebe auszudrücken, die ich für sie empfinde, sie lächelt, ruf mich heute abend an, vergiß unsere Abmachung nicht, aber als wir die Treppe hinuntergehen, erwacht in mir das bedrückende Gefühl von Fremdheit, als wären die drei dort oben, sie, er und das Baby, die eigentlichen Bewohner der Wohnung, und wir, Noga und ich, wären nur überflüssige, lästige Gäste, nach deren Aufbruch die Gastgeber erleichtert aufatmen.

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    11
    Auf dem Weg zum Heim vergesse ich, die Ampeln zu zählen, ich vergesse plötzlich, Angst zu haben wie an allen anderen Morgen während der letzten Wochen, Angst vor Chawa, der Leiterin, Angst vor dem Weinen, das aus den Zimmern aufsteigt, vor meiner Unfähigkeit zu helfen. Ein neuer Geist begleitet mich von einer Ampel zur nächsten, treibt mein altes Auto vorwärts wie in den Tagen frischer Verliebtheit, wenn das Gefühl noch den Körper einhüllt wie ein geölter Schuppenpanzer und jeden Pfeil abwehrt. Heute morgen bin ich nicht allein, sie ist neben mir, sie stützt mich mit ihrem harten, braunen Körper wie ein Baumstamm, sie schützt mich mit ihrer ruhigen Stimme und ihrer vollkommenen Gelassenheit. Im Seitenspiegel sehe ich ein Stück des strahlenden

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