Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
sie klingt ganz anders als die heitere Stimme, die ich kenne, Sohara, schreie ich, Noga ist krank, ich bitte dich dringend, komm her und schau sie an, und sie zögert, ihre Stimme ist leise und seltsam, fast unhörbar. Im Moment ist es mir ein bißchen schwer, sagt sie, aber ich lasse nicht locker, ersticktes Weinen bricht aus meiner Kehle und umhüllt den Hörer, Sohara, ich habe Angst, daß sie etwas Schlimmes hat, bitte komm her und sag mir, was ich tun soll, und sie schweigt, was ist mit ihr, sonst ist sie immer so schnell bereit gewesen zu kommen, als hätte sie nur auf eine Einladung gewartet, und jetzt windet sie sich unwillig, in Ordnung, ich versuche zu kommen, sagt sie, als wäre der Weg von ihrer Wohnung plötzlich lang und gefährlich geworden. Verwirrt kehre ich zu Noga zurück, die Tabletten haben kaum eine Wirkung gezeigt, ich lege ihr ein feuchtes Tuch auf die Stirn, die Ärztin ist gleich da, sage ich leise, und sie jammert, Papa soll kommen, ruf Papa an, und ich spüre, wie mein Herz starr wird vor Schmerz, spitze Eisstücke rutschen über meinen Körper, Papa ist unterwegs, sage ich, man kann ihn nicht erreichen, bestimmt ruft er später an, und sie stöhnt, ihr Atem ist voller abgeschnittener, geschwollener Silben.
Ich sinke neben sie auf das Bett, drücke mich voller Trauer an sie, wie habe ich glauben können, daß es so leicht vorbeigehen würde, daß sie in die Schule geht und die Sache damit erledigt ist, daß ich mich meiner eigenen Kränkung hingeben kann, meinem eigenen Verlust, es ist doch egal, was mit mir geschieht, ich biete mich freiwillig an, bis an mein Lebensende allein zu bleiben, sie soll nur gesund werden, das ist alles, was ich will. Ihre fiebrige Hitze geht auf mich über, bis ich das Gefühl habe, selbst vor Fieber zu glühen, unter der dünnen Decke schmiege ich all meine Ängste an sie, all meine Gelübde, ich krümme mich in ihren Flammen, als wäre ich auf einen Scheiterhaufen gestiegen, so werden wir beide sterben, verloren und verlassen, wir haben kein Leben ohne ihn, das hätte ich von Anfang an wissen müssen, so haben wir gelebt, als gäbe es für uns kein Leben ohne ihn, ich schmiege mich in ihre Arme, als wäre sie meine Mutter und ich die Tochter, sie die Sonne und ich der Mond, ich bin bereit, einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen, doch da sind auf einmal schnelle Schritte zu hören. Er ist zurückgekommen, denke ich freudig, er hat ihre Schreie gehört und ist zurückgekommen, er ist nicht fähig, uns wirklich im Stich zu lassen, auch er hat kein Leben ohne uns, wir sind die kranken Glieder eines einzigen Körpers, aber da taucht die schmale Silhouette auf, immer überrascht sie mich mit ihrer Ankunft, auch wenn ich sie erwartet habe.
Wie geht es ihr, fragt sie, ihre Stimme ist noch immer kühl, und ich steige aus dem Bett und flüstere, sie hat hohes Fieber und starke Kopfschmerzen, ihr Nacken ist steif, sie ist nicht in Ordnung, ich stocke und füge mit erstickter Stimme hinzu, nichts ist in Ordnung, gar nichts, Udi hat uns verlassen, Noga hält das nicht aus, ich halte es nicht aus, er ist einfach aufgestanden und weggegangen, er hat noch nicht einmal gesagt, wohin er geht, alles wegen dieser verdammten Krankheit, ich schluchze, verzichte auf den letzten Rest meines Stolzes, ich möchte mich nur in ihren Armen verstecken, sonst nichts, ich möchte dort liegen wie ihr Baby. Sie betrachtet mich mit einem konzentrierten Blick, nicht im geringsten überrascht, es ist natürlich, daß du es so empfindest, sagt sie, aber man kann es auch anders sehen. Wie denn, ist es etwa auch eine Chance, bricht es aus mir heraus, fragend und aggressiv, und sie sagt, natürlich ist es eine Chance, denn in jedem Verlust liegt auch eine Erleichterung, stell dir vor, du kommst eines Tages nach Hause, und alles ist gestohlen, buchstäblich alles, du besitzt nichts mehr, es lohnt sich noch nicht einmal, aufzuzählen, was du nicht mehr hast. Ganz plötzlich werden deine Gedanken ruhig, du spürst eine tiefe Gelassenheit, fast so etwas wie Gnade, und du verstehst auf einmal, daß es keinen Kampf mehr gibt, weil es sinnlos geworden ist, zu kämpfen, daß du nachgeben mußt, weil du keine Wahl hast, du verlierst alles, aber du gewinnst eine tiefe Gelassenheit. Schau dich um, Na’ama, sagt sie leise, die Wände der Wohnung sind zusammengebrochen, aber das ermöglicht es dir, die Landschaft zu sehen, die in all den Jahren vor dir verborgen war, und ich höre ihr mit wachsender
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