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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Verzweiflung zu, wie wagt sie es, mir jetzt ihre dummen Beispiele vorzubeten, was habe ich damit zu schaffen?
    Schau erst, was mit Noga ist, schlage ich ihr vor, ich kann es kaum glauben, daß ich einmal durstig ihre Worte getrunken habe, sie geht zum Bett und atmet schwer, ihr Blick ist verschlossen, nicht von der Lebhaftigkeit, die ich so geliebt habe, ihre Hände tasten ernst über den schlaffen Körper, versuche, dich vorzubeugen, sagt sie, beuge den Kopf vor, ohne die Beine anzuziehen, und Noga schreit, laß mich, du tust mir weh, und Sohara läßt sie plötzlich los, ich kann sie unter diesen Umständen nur schlecht untersuchen, sagt sie, es könnte tatsächlich Gehirnhautentzündung sein, nach dem starren Nacken, aber ich habe keine Möglichkeit, die Untersuchung vorzunehmen, du mußt sie ins Krankenhaus bringen, oder zum Notarzt, und ich betrachte sie enttäuscht, so sehr habe ich an sie geglaubt, ich bin sicher gewesen, sie brauche Noga nur die Hand aufzulegen, schon würde sie gesund, wo sind ihre Wunderkräfte geblieben, der Duft des brennenden Räucherstäbchens, die beruhigenden Erklärungen, ohne das alles ist sie wie jeder andere Mensch, leer, dunkel, hilflos.
    Es tut mir leid, sagt sie leise und verschwindet mit raschen Schritten aus dem Zimmer, ich folge ihr, hoffe aus Gewohnheit auf ein segnendes Wort, ihr spitzes Kinn ist mir so nahe, daß es mich gleich verletzen könnte, die Geburt des Menschen ist der Anfang seines Schmerzes, sagt sie langsam und ruhig, ich muß näher treten, um sie zu verstehen, es gibt eine alte tibetische Geschichte, von einer Frau, deren einziger Sohn krank wurde und starb, sie irrte durch die Straßen, trug seine Leiche auf den Armen und bat jeden, den sie traf, ihr zu helfen, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Schließlich begegnete sie einem Weisen, der sagte, der einzige auf der Welt, der solch ein Wunder vollbringen könne, sei Buddha. Deshalb ging sie zu Buddha, legte die Leiche ihres Sohnes vor ihn auf die Erde und erzählte ihm, was passiert war. Buddha hörte ihr zu und sagte, es gibt nur einen Weg, dein Leiden zu beenden, gehe in die Stadt und bringe mir ein Senfkorn aus jedem Haus, an dessen Tür der Tod noch nie geklopft hat. Sofort rannte die Frau in die Stadt und ging von Haus zu Haus, aber sie fand kein einziges Haus, an dessen Tür der Tod noch nie geklopft hatte. Nachdem sie jedes Haus besucht hatte, verstand sie, daß sie die Forderung Buddhas nicht erfüllen konnte. Was hat sie dann getan, frage ich feindselig, und Sohara antwortet, sie nahm ruhig Abschied von der Leiche ihres Sohnes, ging zurück zu Buddha und bat ihn, sie die Wahrheit zu lehren, sie hatte verstanden, daß das Leben für uns alle nur ein Meer aus Leiden ist, und der einzige Weg der Rettung ist der Pfad, der zur Freiheit führt.
    Was willst du von mir mit deinen schrecklichen Geschichten, fahre ich sie an, nachdem ich eine Weile angespannt geschwiegen und auf ein gutes Ende gewartet habe, was für eine Freiheit ist das, wenn meine Tochter krank ist und mein Mann uns verlassen hat, und sie sagt, aber das sind die wichtigsten Momente im Leben, die Momente, in denen sich ein Tor zur Erleuchtung öffnet, du bist aus großer Höhe herabgefallen, aber nun stehst du auf dem festen Boden der Wahrheit, und dein Sturz ist keine Katastrophe, sondern eine Chance, die Rettung in dir selbst zu finden, zu verstehen, daß letzten Endes nichts gut und nichts schlecht ist und es sich nicht lohnt, sich allzusehr aufzuregen. Wir müssen ohne Bindung und ohne Zorn leben, sagt sie feierlich, wir müssen das vollkommene Gleichgewicht erreichen, wir dürfen nicht alles von glücklichen Ereignissen abhängig machen oder vor unglücklichen zurückweichen, wir dürfen stürmischen Gefühlen keine Herrschaft über uns verleihen, weder guten noch bösen, und ich höre ihr ungeduldig zu, meine Erbitterung wächst, bis ich sie nicht mehr ignorieren kann. Ich unterbreche sie, aber was bleibt dann noch von mir, ohne meine Gefühle, das ist doch alles, was ich habe, willst du, daß ich starr und gefühllos bin wie eine Statue? Das geht doch nicht, das ist doch ungeheuerlich, was du da sagst, nun bricht es aus mir heraus, warum habe ich das nicht vorher gemerkt, was soll das heißen, sich nicht binden, willst du, daß ich meine Tochter dem Tod überlasse, daß ich die Wolken betrachte, während sie leidet? Was ist deine ganze Gelassenheit wert, wenn sie jedes andere Gefühl verdrängt? Das ist einfach ein weiterer Schritt

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