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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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leise, und sie stöhnt, mir tut der Kopf weh, ich möchte schlafen.
    Schlaf, ich küsse sie auf die rote Wange, wenn du aufwachst, wird es dir besser gehen, ich ziehe ihr die Schuhe aus und breite eine dünne Decke über sie, es ist nur eine Grippe, versuche ich mir einzureden, was kann es sonst schon sein? Er verläßt mit mir das Zimmer, nimmt in der Küche ein Glas, füllt es mit Wasser aus dem Wasserhahn, ich habe vergessen, ihm etwas anzubieten, aber er kommt zurecht, ich werde das Gefühl nicht los, daß er schon einmal hier war, er schaut sich ohne jede Neugier um mit seinen runden, kindlich hellen Augen, ich biete ihm an, sich zu setzen, es ist mir unangenehm, ihm gegenüberzustehen, weil er kleiner ist als ich und ich gezwungen bin, die Lider zu senken, doch er sagt, ich muß los, gleich fängt die Stunde an, aber er zögert, etwas hält ihn zurück, und mir wird plötzlich klar, daß er Mitleid mit mir hat, er hat einfach Mitleid mit mir, ich bin eine, mit der man Mitleid hat, und ich habe keine Kraft mehr, so zu tun, als wäre ich nicht so eine. Er geht mit seinen kurzen Schritten auf die Tür zu, legt schon die Hand auf die Klinke und sagt leise, als verrate er mir ein Geheimnis, Noga ist ein ganz besonderes Mädchen, und ich sage müde, danke, als hätte er mir ein Kompliment gemacht, dann schüttle ich mich und frage, was so Besonderes an ihr sei, und er sagt, in ihrer Seele verbergen sich große Schätze, wie untergegangene Luxusschiffe, man muß ihr nur helfen, sie zu heben, und ich frage, was ist, wenn niemand da ist, um ihr zu helfen, und er sagt, dann geht alles verloren.
    Also das ist es, was Sie tun wollen, sage ich und betrachte ihn mit einem säuerlichen Lächeln, und er sagt, nein, nicht wirklich, ich unterhalte mich nur manchmal in den Pausen mit ihr, wenn ich sehe, daß sie allein ist, ich versuche, sie zum Sprechen zu bringen, sie tut mir leid, sie ist so verschlossen, die ganze Zeit verbirgt sie etwas, und ich sage, vielleicht verbirgt sie ihre inneren Schätze, damit niemand sie ihr wegnehmen kann, aber seine Worte vergrößern nur noch meine Angst, ich möchte, daß er samt seiner übertriebenen Sorge verschwindet, soll er sich doch um seine neue Frau Sorgen machen, nicht um meine Tochter, danke für die Hilfe, sage ich, und er nickt, rufen Sie an, wenn Sie etwas brauchen, Noga hat meine Nummer, und ich sage, klar, obwohl es mir nie einfallen würde, ihn anzurufen, ich fühle mich unbehaglich neben ihm, als kenne er Noga besser als ich, und das bedrückt mich und macht mir Schuldgefühle, aber als er die Treppe hinuntergeht, fühle ich mich schon wieder verlassen, allein gelassen mit einem Mädchen, dessen Vater weggegangen ist, was für eine Mutter bin ich, ich schaffe es nicht, den Vater bei uns zu halten, ich treibe ihn davon und weiß noch nicht einmal, wohin. Ich habe keine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, damit er sich ans Bett seiner kranken Tochter setzt, ihre Stirn streichelt, ihr in den Hals schaut und mit mir berät, was man tun soll, unglücklich gehe ich zurück in ihr Zimmer, ihre blonden Locken bedecken das Kissen, schlaf gut, meine Süße, sage ich leise, und wache gesund wieder auf, sage ich, aber plötzlich richtet sie sich auf, deutet mit einem zitternden Finger auf die Tür, als sähe sie einen Geist, wer ist das, schreit sie und reißt den Mund zu einer verzerrten Grimasse auf, wer ist gekommen, und ich umarme sie, hier ist niemand, Nogi, was siehst du da, und sie sinkt wieder auf das Kissen, stößt unverständliche Silben aus, als wäre sie wieder ein Baby, das noch nicht sprechen kann.
    Das sind Fieberphantasien, sage ich mir, ich muß etwas tun, damit das Fieber sinkt, ich schiebe ihr zwei Paracetamol in den Mund, lasse sie Wasser nachtrinken, und sie schluckt gehorsam, mein Kopf platzt, murmelt sie, ich sehe nichts, und plötzlich wird mir klar, daß das nicht einfach eine Grippe ist, krampfhaft überlege ich, welche Symptome gehören zu einer Meningitis, irgend etwas mit dem Nacken, versuche den Kopf zu beugen, sage ich leise zu ihr und streichle ihren Nacken, und sie schreit, das kann ich nicht, ich kann den Kopf nicht bewegen, und ich, betäubt vor Sorge, renne zum Telefon, murmle wie ein Gebet Soharas Nummer, sie ist die einzige, auf die ich mich verlassen kann, nur sie wird mir helfen.
    Antworte schon, flehe ich und presse den Hörer, und schließlich meldet sie sich mit einer dumpfen Stimme, als hätte ich sie aus dem Schlaf geweckt,

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