Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
widerrufen, denn auch Udi zieht jetzt ein kleines Kind auf, warum sollte ich dann nicht diesem Mädchen helfen, das mich vom ersten Augenblick an fasziniert hat, und schon denke ich daran, wie begeistert Noga sein wird, wie wir uns alle für dieses Kind opfern werden, wir werden es im Wagen spazierenfahren, wir werden im Winter die Wohnung für es heizen, wir werden es im Wohnzimmer mitten auf den Teppich legen, und es wird lachen und strampeln, und so werden wir vergessen, daß uns Udi fehlt, wir werden überhaupt nicht mehr an ihn denken, denn vor uns wird dieses kleine Leben heranwachsen. Rühme, du Unfruchtbare, die du nicht geboren hast! Freue dich mit Rühmen und jauchze, die du nicht schwanger warst! Du wirst die Schande deiner Jugend vergessen und der Schmach deiner Witwenschaft nicht mehr gedenken. Doch da sinkt sie schon auf das Bett zurück, verwirrt, genau in dem Moment, als Chawas autoritäre Stimme den Flur erfüllt, und ich stehe schnell auf und sage, ich habe eine Sitzung, wir sehen uns nachher.
    Am Sitzungstisch bin ich schweigsam und innerlich beunruhigt, wie eine Doppelagentin, nervös lausche ich, wie sie Ja’els Situation einschätzen, es scheint, als ziehe sich die Zukunft ihres ungeborenen Kindes in zwei Bahnen über den Tisch, parallel wie Eisenbahnschienen, wer kann schon wissen, welcher Zug sein Ziel schneller erreicht, mein Finger fährt unruhig über die Holzplatte, warum denkt niemand an den Mittelweg, niemand kommt auf die Idee, daß ich das Kind zusammen mit ihr aufziehen könnte, alles wird immer in den düstersten Farben gezeichnet, als könnten die Mädchen zwischen einer schweren Krankheit und einem Autounfall wählen. Der Finger, der über den Tisch gleitet, kommt sauber zu mir zurück, bei Chawa gibt es nicht das kleinste Staubkörnchen, überraschenderweise wendet sie sich jetzt an mich und fragt, was meinst du dazu, Na’ama, und ich stottere, es ist noch zu früh, etwas zu entscheiden, ich werde mich bis zur Geburt um sie kümmern, dann wird man schon sehen. Ich versuche ruhig zu sprechen, obwohl es mir plötzlich vorkommt, als sei ich verrückt geworden, oder ich war vorher verrückt und bin jetzt gesund, aber Chawas Augen lassen mich nicht los, alles in Ordnung, fragt sie ungeduldig und fügt sofort hinzu, komm nach der Sitzung zu mir.
    Mit zusammengepreßten Lippen gehe ich hinter ihr her, nur nicht weinen, ich muß meine Selbstachtung bewahren, und sie fragt, also, was ist passiert, du hast etwas Schlimmes erlebt, und ich sage, Noga war krank, wir hatten Angst, es wäre eine Gehirnhautentzündung, mit Absicht sage ich, wir hatten Angst, obwohl mir die Pluralform nicht leicht über die Lippen geht, sie bleibt zwischen meinen Zähnen hängen, als würde ich einen Titel benutzen, der mir schon längst aberkannt wurde, aber Chawa macht eine wegwerfende Handbewegung, was ist noch passiert, Na’ama?
    Udi hat das Haus verlassen, sage ich, zu meiner Überraschung fange ich nicht an zu weinen, es ist, als hätte ich gesagt, der Chamsin hat aufgehört, und sie erhebt sich feierlich von ihrem Stuhl, auf den sie sich gerade erst gesetzt hat, herzlichen Glückwunsch, sagt sie strahlend und drückt mir die Hand, als hätte ich ihr meine bevorstehende Hochzeit mitgeteilt, das ist das Beste, was dir passieren konnte, das ist das Beste, was jeder Frau passieren kann, aber vor allem dir, ich habe befürchtet, daß er es nicht wagen würde, aber jetzt bin ich wirklich angenehm überrascht, sie strahlt und setzt sich wieder auf ihren wackligen Liegestuhl, rückt ihn ein wenig zurecht. Ich betrachte sie verwirrt, sie ist nicht rücksichtsvoll genug, um mir das alles nur zum Trost vorzuspielen, vermutlich glaubt sie an das, was sie sagt, und ich frage mit leiser Stimme, was ist daran so gut, und sie sagt, siehst du das nicht? Du kannst dich endlich um dich selbst kümmern, viele Jahre lang bist du nur um ihn herumgehüpft, hast Rücksicht auf ihn genommen, hast dir seine Probleme aufgeladen, es ist Zeit, daß das endlich vorbei ist.
    Aber was bin ich denn, Chawa, meine Stimme zittert, wie kann es mir gutgehen, wenn sogar er mich verlassen hat, wie kann ich mich selbst in den Mittelpunkt stellen, wenn ich mich verstoßen fühle und gedemütigt? Sie winkt ab, schon wieder unterwirfst du dich seinen Maßstäben, ohne einen Funken Verstand, wenn er dich verlassen hat, bedeutet das etwa, daß du nichts wert bist? Vielleicht ist ja das Gegenteil der Fall, vielleicht hat er deinen Wert nicht

Weitere Kostenlose Bücher