Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
immer mit Tränen in den Augen angekommen, wegen eines Streits, allmählich gewöhnte ich mich an diese Einsamkeit, nur er und ich und dann Noga, und meine Arbeit, die er allerdings auch zweifelnd betrachtete, es war eine Art Hausarrest, mit dem ich mich abgefunden hatte, der mir fast angenehm geworden war, ein Leben ohne Verlockungen, ohne Gefühle, und allmählich glaubte ich, wenn es mir so leicht fiel, auf alles andere zu verzichten, war es wohl wirklich nicht wichtig. Warum war es mir so bequem, meine eigene Kraft zu verleugnen, mich seinen Wünschen zu unterwerfen, die immer stärker waren als meine, noch vor jener Schuld, die er unbarmherzig auspreßte, Tropfen für Tropfen, auch dafür mußte ich mich ständig entschuldigen, ich versteckte meine Schönheit, statt sie zu genießen, und jetzt ist nicht mehr viel davon geblieben, jedenfalls nicht genug für den Rest meines Lebens. Der Gedanke an den Rest meines Lebens wirkt so bedrohlich, daß ich mich wild gegen ihn wehre, das braucht mich jetzt nicht zu kümmern, ich möchte doch nur, daß die nächste Stunde vergeht und dann die übernächste, und sie soll ihre Vorgängerin sofort verwischen, jede Stunde verwischt die vorangegangene, nur dafür kommen sie doch. Es sind Tage ohne Wünsche, denn da ist unsere abgeschlossene Wohnung, keiner geht und keiner kommt, nur meine Mutter kauft manchmal ein, das Geräusch ihrer Schritte im Treppenhaus läßt mich erzittern, ebenso das Drehen des Schlüssels in der Wohnungstür, das Rascheln der Plastiktüten auf dem Küchentisch, aber ich schaue sie nur an und schweige, wir schweigen die meiste Zeit, alle drei, nur die notwendigsten Worte kommen aus dem trockenen Mund wie Korken aus dem engen Hals einer Weinflasche, Korken, die eher zerbröckeln, als daß sie sich herausziehen lassen. Sogar die Waschmaschine schweigt, auch das Telefon klingelt selten, und wenn einmal jemand anruft, meist von der Arbeit, verkündet meine Mutter mit fester Stimme, ich sei krank, sie überzeugt sogar mich, ich lege mich schlafen mit dem dumpfen Gefühl, eine Krankheit auszubrüten, die sich noch nicht für den Hals oder den Kopf entschieden hat, für den Bauch oder den Rücken, Udi wird zurückkommen, murmele ich, Udi wird zurückkommen, und gegen Morgen kommt er dann immer, er überrascht mich, tritt in das dunkle Zimmer, weckt mich aus meinem schweren Schlaf und wirft Geschenke auf mich, im allgemeinen sind es Schuhe, drei Paar Sandalen, völlig identisch, und zwei Paar Hausschuhe, alle für ihn, nicht für mich, und wenn ich ihn frage, wofür brauchst du das ganze Zeug, ich habe dir doch gerade erst Sandalen gekauft, lacht er nur glücklich, er ist so glücklich, daß ich ihm nicht die Freude verderben will, ich lache mit ihm über diesen Witz, fünf Paar Schuhe in einer Nacht, was für ein Jux, und am Morgen wache ich enttäuscht auf, aber meine Enttäuschung läßt langsam nach, löst sich allmählich in der Wohnung auf, verschwindet durch die Ritzen der Rolläden, bis ich mich manchmal von der Freude des Weckers anstecken lasse, endlich störe ich niemanden mehr.
Und als ich nachts schnelle Atemzüge auf meinem Gesicht spüre, denke ich, er ist zurückgekommen, er ist zurückgekommen, aber trotzdem wende ich das Gesicht zur anderen Seite, noch nie habe ich einschlafen können, wenn wir uns gegenüberlagen und uns mit geschlossenen Augen ansahen, aber dann höre ich Noga flüstern, ich kann nicht mehr schlafen, ich habe so viel geschlafen, ich mache ihr Platz, und sie schmiegt sich an mich, der Geruch nach Krankheit umgibt mich, obwohl ihre Stirn nicht mehr heiß ist, und für einen Augenblick kommt es mir vor, als bebe die Erde, bis ich verstehe, daß ihr an mich gedrückter Körper vom Weinen geschüttelt wird, und ich werde nervös, warum läßt sie mich nicht in Ruhe, woher soll ich die Kraft nehmen, sie zu beruhigen, aber dann überkommt mich plötzlich eine seltsame Gelassenheit, vielleicht ist es gar nicht meine Aufgabe, sie zu beruhigen, vielleicht muß ich nur bei ihr sein, ich lege meine Arme fester um sie, mein Weinen trifft auf ihres, wir schluchzen gemeinsam wie zwei verlassene Waisenkinder.
Aber wir haben eine Mutter. Morgens werden wir von Kaffeeduft geweckt, wir bekommen Rührei und Tomaten, und nachdem wir ein paar Tage kaum etwas gegessen haben, stürzen wir zum Tisch, kichernd wie Freundinnen, die sich nachts ihre Geheimnisse erzählt haben, und meine Mutter betrachtet uns mit einem zweifelnden Blick, so wie sie
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