Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
ausgehalten, vielleicht hat er sich neben dir schuldig und mangelhaft gefühlt, vielleicht hat er in ständiger Furcht davor gelebt, daß du ihn verläßt, es ist so einfach zu sagen, er hat mich verlassen, das ist ein Zeichen, daß er mich nicht mehr liebt und ich nichts wert bin, dabei ist die Sache in Wirklichkeit sehr viel komplizierter. Du weißt ja, daß ich nicht versuche, dich zu trösten, mir fällt es nicht schwer, die Wahrheit zu sagen, wenn es nötig ist.
Bestürzt betrachte ich ihr Gesicht, das schon nicht mehr jung ist und noch nie schön war, wie sehr ich sie plötzlich liebe, vielleicht hat sie recht, hoffentlich hat sie recht, im allgemeinen hat sie recht, Chawa, die Kluge, die Überraschende, ich habe erwartet, siebenfach gedemütigt ihr Zimmer zu verlassen, doch nun bin ich fast stolz, mit leichten Schritten laufe ich zu meinem Büro, auch wenn ich das alles nur eine Minute am Tag glauben könnte, wäre das schon eine große Wandlung, und vielleicht würde der Samen, den sie in mich gesenkt hat, ja anfangen zu keimen und zu wachsen, bis ich es den ganzen Tag lang glauben könnte, und sogar die ganze Nacht, dann wäre ich glücklich. Ich stelle mir vor, wie glücklich ich sein werde, vor meinen Augen tanzt der Schmetterling der verschwommenen Erinnerung, ich muß ihn einfangen, ich brauche nur die Hand auszustrecken, schon habe ich ihn, und habe ich ihn erst einmal erwischt, entkommt er mir nie mehr. Diese Gewißheit breitet sich als Lächeln über meinem Gesicht aus und verschwindet auch nicht, als ich das Klopfen an der Tür höre, ein fremder Mann steht auf der Schwelle, vor meinen erstaunten Augen. Nur selten kommen Männer hierher, Väter mit zerbrochenen Herzen oder die jungen Freunde, wild und gekränkt, aber einen Mann wie ihn habe ich hier noch nie gesehen, mit schwarzen, zurückgekämmten Haaren und einem weißen Hemd, und ich versuche, mein dummes Lächeln loszuwerden, aber es verschwindet nicht von meinen Lippen, dieser Mann glaubt bestimmt, daß er eine glückliche Frau vor sich hat, die allein im Zimmer sitzt und sich an sich selbst freut, ich muß ihm seinen Irrtum klarmachen. Doch sofort stellt sich heraus, daß ein noch größerer Irrtum zwischen uns steht, denn er betrachtet mich mit einem verlegenen Blick und sagt, Sie sind Chawa, und da wird mein Lächeln zu einem offenen Lachen, so lächerlich kommt es mir vor, daß mich jemand für sie halten könnte, und ich kichere und sage, ich wünschte, ich wäre Chawa, mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, Chawa zu sein, und er sagt mit erstaunlicher Sanftheit, und ich bin sicher, daß Chawa Sie sein möchte.
Wieso denn, wehre ich vergnügt ab, wenn Sie sie erst kennengelernt haben, werden Sie verstehen, wie sehr Sie sich irren, sie ist zufrieden mit sich selbst, sie möchte niemand anderes sein, und er sagt, wenn Sie mir verraten, wo ich sie finde, verspreche ich Ihnen, daß ich die Sache überprüfen werde. Ich führe ihn beschwingt bis zu ihrer Tür, schiele unterwegs heimlich zu dem Gesicht des Mannes neben mir, im Profil ist er ein bißchen weniger schön, seine Nase und sein Kinn haben etwas Adlerhaftes, trotzdem gehe ich nicht zurück in mein Zimmer, sondern zur Toilette, nervös schaue ich in den Spiegel und bin angenehm überrascht, der rote Pulli schmeichelt mir, die Farbe verleiht meiner Blässe einen hübschen rosigen Ton, und meine Haare, die ich am Morgen gewaschen habe, glänzen wie goldene Fäden. Vielleicht hat Chawa recht, vielleicht ist es nur gut für mich, ich sehe sehr viel besser aus als vor einer Woche, und dann fällt mir ein, daß sie diesem Mann jetzt gegenübersitzt, was will sie von ihm, was will er von ihr, er ist zu jung, um der Vater eines der schwangeren Mädchen zu sein, was hat er an einem so traurigen Ort verloren, aber eigentlich hat auch er ein bißchen traurig und beschämt ausgesehen, er ist nicht umsonst hergekommen. Ich kehre in mein Zimmer zurück und lasse die Tür offen, damit ich sehe, wann er aus ihrem Zimmer kommt, vielleicht kann ich ihn ja aufhalten, angespannt sitze ich da, schiebe ein paar Formulare auf dem Schreibtisch umher, bis ich ihn herauskommen höre. Er geht ein bißchen gebeugt, das Adlerprofil gesenkt, als habe er eine traurige Nachricht bekommen, aber als er mir das dunkle Gesicht zuwendet, lächelt er und sagt, ich ziehe Sie jedenfalls vor. Ich danke ihm mit übertriebener Begeisterung, als hätte ich nie im Leben ein größeres Kompliment bekommen, und sofort
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