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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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fühle ich mich gedrängt, sie zu verteidigen, sie ist eine harte Frau, aber sie ist klug, Chawa ist unser einziges Gesprächsthema, ein anderes haben wir noch nicht, wir haben nur diese einzige gemeinsame Bekannte, die er heute zum ersten Mal getroffen hat, der Himmel weiß, in welcher Angelegenheit.
    Hinterher ist man immer klüger, sagt er, und ich beeile mich zu antworten, aber wir stecken doch immer zwischen hinterher und vorher, oder, und er schweigt, lehnt sich an den Türpfosten, er sieht aus, als falle es ihm schwer, sich auf den Beinen zu halten. Was führt Sie zu uns, frage ich, schon bereit, mir seine mannigfaltigen Probleme aufzuladen, wie ein Mülleimer, der, frisch geleert, auf die nächste Ladung wartet, und er seufzt, eine große Dummheit oder Pech, das läßt sich manchmal nur schwer unterscheiden. Ich werfe ihm einen ermutigenden Blick zu, schließlich ist es auch bei mir so, es war eine große Dummheit oder Pech, was mich mitten im Leben zu einer verlassenen Frau gemacht hat. Zu meinem Bedauern setzt er sich nicht auf den freien Stuhl mir gegenüber, er läßt sich auch nicht auf meine Frage ein, er begnügt sich mit einer allgemeinen Antwort, aber er geht auch nicht weg, er läßt seinen Blick nachdenklich durch mein Zimmer wandern, dann schaut er zu mir, ich habe noch immer einen erwartungsvollen Ausdruck im Gesicht, vermutlich ist er nicht weniger erstaunt als ich, daß er sich an solch einem Ort befindet, nun macht er den Mund auf, gleich wird er etwas zu mir sagen, etwas, was mein Leben verändern wird, doch in diesem Moment kommt das bekannte Weinen aus einem der Zimmer, es rollt die Treppe herauf bis zu unseren Ohren, und sein Gesicht wird blaß, als wäre sein Leben in Gefahr, er fängt an zu rennen, ohne sich von mir zu verabschieden. Ich stehe erschrocken am Fenster und sehe, wie er in großer Eile durch das Tor läuft, er rennt mit weiten Schritten, bis er vor einem silbernen Auto stehenbleibt, er wendet sein Gesicht noch einmal unserem Gebäude zu, ein Gesicht, auf dem sich Entsetzen abzeichnet, als habe das Haus mit all seinen Zimmern gedroht, über ihm zusammenzubrechen.
    Ich kann mich nicht länger zurückhalten, ich laufe zu Chawas Zimmer, betrete es, ohne anzuklopfen, mache die Tür hinter mir zu und lehne mich schwer atmend an den Pfosten, sie nimmt langsam ihre Lesebrille ab, Na’ama, sagt sie nachdrücklich, was ist denn nun schon wieder passiert, du siehst aufgeregt aus, und ich verstehe schon, daß ich mich gar nicht zu bemühen brauche, es zu verbergen, schade um die Anstrengung, und mit dem Lächeln eines pubertierenden Mädchens frage ich, wer war das? Sie seufzt, du willst das doch nicht wissen, du hast schon genügend Schwierigkeiten, und ich sage, du irrst dich, ich muß es wissen. Es ist der Vater von der Neuen, von Ja’el, und ich sage, er sieht überhaupt nicht aus, als wäre er Ja’els Vater, und sie macht eine wütende Bewegung mit der Hand, ich habe nicht gesagt, er sei ihr Vater, sagt sie, sondern der Vater ihres Kindes, und wenn der Vater bekannt ist, brauchen wir auch seine Unterschrift für eine Adoption, bist du jetzt zufrieden?
    Nein, das bin ich nicht, sage ich und mache mir noch nicht mal die Mühe, die Tür hinter mir zu schließen, wie könnte ich zufrieden sein, wenn er doppelt verloren für mich ist, enttäuscht kehre ich in mein Büro zurück und versuche, mich an alles zu erinnern, was Ja’el mir von ihm erzählt hat, aber nur an eines erinnere ich mich genau, er wird seine Frau nicht verlassen, er wird seine Frau nicht verlassen, nur ein Mann hat leichten Herzens seine Frau verlassen, und das war ausgerechnet meiner, das läßt sich nicht beschönigen, da helfen auch Chawas Theorien nichts. Vielleicht schicke ich sie zu diesem Mann nach Hause, damit sie ihm sagt, er sei verpflichtet, seiner Frau diesen Gefallen zu tun, das wäre das Beste, was er für sie tun könne, aber selbst wenn das passierte, würde sich nur Ja’els Leben ändern, nicht meines, mein Leben gehört jetzt mir, ich kann darüber verfügen, zum Guten oder zum Schlechten. Und doch war da etwas zwischen uns, vorhin, als er an meine Tür gelehnt dastand, es kann nicht sein, daß ich mich so irre, meine Trauer hat seine geküßt, auf halbem Weg, zwischen der Tür und dem Tisch ist es passiert, und wir haben es beide gesehen. Wir hatten beide dieses Zeichen auf der Stirn, das Zeichen der Trauer, die plötzlich über uns hereingebrochen ist, überraschend, obwohl wir beide unser

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