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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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früher manchmal Jotam und mich angeschaut hat, und mir fällt auf, wie die beiden sich ähnlich sehen, nicht in den Farben, aber sie haben die gleichen feinen Gesichtszüge, die gleichen hohen Wangenknochen und den fein gezeichneten Mund, wie schön sie ist in ihrem bunten Pyjama und den lose zusammengebundenen Locken, wie angenehm ist es, ihre Schwester zu sein, anstatt die schwere Aufgabe einer Mutter zu übernehmen, und nach dem Frühstück lasse ich für sie Wasser in die Badewanne, sitze neben ihr, auf dem Klodeckel, und betrachte ihren Körper, der sich in dieser Woche verändert hat, ihr Babyspeck ist durch das hohe Fieber geschmolzen und hat sie länger und dünner zurückgelassen, mit zwei kleinen Wölbungen auf der knochigen Brust, sie macht sich die Locken naß, bis sie sich in die Länge ziehen und ihr über den Rücken hängen, und sagt, komm doch auch rein. Nein, sage ich, wieso, ich habe mich gestern abend gewaschen, aber schon ziehe ich das Nachthemd aus und steige zu ihr ins Wasser, auch mein Körper ist leichter geworden, Knie an Knie sitzen wir da, versunken in eine angenehme Verlegenheit, fast ohne uns zu berühren, ihre Anwesenheit schenkt mir eine ungekannte Ruhe, ich bin nicht allein, ich habe eine Tochter, und diese Erkenntnis mildert die Einsamkeit, statt sie zu verschärfen. Es ist mir angenehm, zu spüren, wie sich das Wasser zwischen uns bewegt, wie es auf ihre Bewegungen reagiert, und in der Küche spült meine Mutter Geschirr, wie früher am Schabbat, im alten Haus, gleich wird sie uns in große Handtücher wickeln, und ich höre, wie sie einen Telefonanruf beantwortet, ja, sie ist wieder gesund, sagt sie und kommt ins Badezimmer, das Telefon in der Hand, mit einer feierlichen Bewegung hält sie es Noga hin, und ich tauche mit dem Gesicht unter Wasser, als wäre ich in der Mikwa, bis über den Kopf versinke ich, es bekommt mir nicht, Bruchstücke von ihrem Gespräch aufzufangen, nur gedämpft höre ich ihre Stimme, wie sie aufgeregt von ihrer Krankheit erzählt wie von einer Heldentat, für die man sich von Minute zu Minute mehr begeistert.
    Also, wann sehe ich dich, Papa, fragt sie schließlich, als erwarte sie eine Auszeichnung, dann nickt sie und hält mir den nassen Hörer hin, und er sagt mit einer weichen Stimme, Na’ama, es tut mir leid, ich habe nicht gewußt, daß sie krank war, und ich seufze erleichtert, ich habe das Gefühl, daß dies das einzige war, was ich hören wollte, eine entschiedene Aussage, die jedes Mißtrauen zerstreut, wenn er es gewußt hätte, wäre er gekommen, und ich freue mich, daß er sich so weit entfernt anhört, als würden uns viele, viele Kilometer trennen, er hat uns nicht verleugnet, er war einfach nicht in der Nähe, er hat sich nicht in ihrer Wohnung vor uns versteckt, hat uns vielleicht nicht einmal ihretwegen verlassen. Hauptsache, es geht ihr wieder gut, sage ich, und was ist mit dir, wo bist du, und er sagt, ich bin noch im Süden, ich komme in ein paar Tagen zurück, dann möchte ich Noga treffen, und ich sage, in Ordnung, kein Problem, ich lächle den Hörer an, aber plötzlich weiche ich zurück und lasse ihn aus der Hand fallen, ich sehe, wie er kippt und langsam auf den Boden der Badewanne sinkt. Mir war, als hätte ich neben seiner weichen Stimme, die in mir das Gefühl weckte, etwas verpaßt zu haben, als hätte ich im Hintergrund das Weinen eines kleinen Kindes gehört.

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    18
    Am achten Tag beenden wir die Trauerzeit und gehen hinaus in die Welt, die sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, ein steiler Krater hat sich aufgetan, unmittelbar vor unseren Füßen, uns erwartet ein riesiger Rachen, erstarrt in einem furchtbaren Gähnen, noch ein kleiner Schritt, und wir stürzen in die Tiefe. Hand in Hand gehen wir die Treppe hinunter, hinaus in die provozierende Morgensonne, meine Mutter winkt uns aufgeregt und mit übertriebenen Bewegungen nach, als würden viele Jahre vergehen, bis wir uns wiedersehen, Noga stützt sich auf mich, ihre Schritte sind unsicher, das einzige T-Shirt, das er zurückgelassen hat, flattert um ihren Leib und hüllt ihre Bewegungen ein wie eine warnende schwarze Fahne.
    Am Schultor verabschiede ich mich von ihr, umarme sie mit klopfendem Herzen, als wäre dies ihr erster Schultag, und dann drehe ich mich um, und mit jedem Schritt, mit dem ich mich weiter von ihr entferne, wächst in mir das Gefühl, ausgehöhlt zu sein, es kommt mir vor, als gäbe es von mir nur noch eine dürftige Hülle. So sah das

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